Der Quaderkopf
Eine Unterrichtseinheit für die 8. Jahrgangsstufe

von Uli Schuster

Unter dem Stichwort "Abbilden des Sichtbaren: Die bildnerische Werkstatt" sucht der Lehrplan für die 8. Jahrgangsstufe nach "Abbildungsverfahren, die den Schülern helfen, Beobachtetes überzeugender darzustellen". Gemeint sind Verfahren, die Raumwirkungen, Maßverhältnisse und Realeffekte erproben. Diese Aufgabenstellung greift zurück auf eine Unterrichtseinheit zu den Proportionen am menschlichen Kopf für die 6. Jgst und erweitert das Problem um die Darstellung räumlicher Tiefe sowie um ein Abbildungsverfahren, das in der Sachdarstellung einen Standard bedeutet: die Drei-Tafel-Projektion.
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Die Abwicklung oder das Netz eines Körpers ist bekannt als eine Aufgabenstellung aus dem technischen Zeichnen. Allerdings hat Albrecht Dürer schon 1512, lange bevor es ein festes Regelwerk für die technische Zeichnung gab, das System der Abwicklung verwendet, um nicht geometrisch und regelmäßig geformte Körper in ihrer räumlichen Ausdehnung zu erfassen und ihre Abbildung nach perspektivischen Regeln zu versuchen. 
Eine Zeichnung aus dem Dresdener Skizzenbuch zeigt einen standardisierten Kopf in drei extremen Ansichten wie in einer "Drei-Tafel-Projektion" in Grundriß, Aufriß und Seitenriß systematisch aufeinander bezogen. Die eingezeichneten horizontalen und vertikalen Linien gliedern einerseits Kopf und Gesicht in einzelne messbare Abstände nach Höhe, Breite und Tiefe. Andererseits erlauben sie die Zuordnung der Projektionen zueinander. Wie weit steht die Stirn vor, wie tief liegen die Nasenwinkel zurück. Es ist sinnvoll diese Abbildung mit den Schülern ganz genau zu studieren. Diese Untersuchung Dürers zu den Proportionen am menschlichen Kopf nehmen wir zum Ausgangspunkt für eine vergleichbare Übung.
Das Dresdener Skizzenbuch enthält eine ganze Reihe von Proportionsstudien, die Dürer später in seiner Schrift "Zwölf Bücher von menschlicher Proportion" in Form von Holzschnitten publizierte.
Aufgabe
Die Schüler erhalten ein Arbeitsblatt mit der Abwicklung der 6 Seitenflächen eines Quaders mit den Maßen 10:7,5:9 cm. Gemeinsam wird festgelegt in welche Fläche die Frontalansicht zu zeichnen ist. Bevor noch das Gesicht in seinen Umrissen gezeichnet wird gliedern wir diese Fläche im Sinn des Dürer'schen Proportionsschemas.
Wir zeichnen mit Lineal ein die vertikale Symmetrieachse (Mittellinie) und die drei horizontalen Hauptlinien des Gesichts im gleichen Abstand von je 1/2 Kopfbreite. Diese Höhenabschnitte lassen sich als Zeilen auch in die beiden Seitenansichten übertragen. Die unterste Hauptlinie markiert die Höhe der Nasenunterseite. Die zweite Hauptlinie markiert die Höhe des oberen Augenlids, die dritte Hauptlinie begrenzt das Gesicht zum Haaransatz hin.
Der Quader umschreibt den Kopf so eng, daß die Gesichtsfläche von Kinn bis Scheitel sowie zwischen den Schläfen die ganze Fläche des frontalen Rechtecks füllt.
Dieser gemeinsame Start muß ausreichen, um den Rest der Zeichnung selbständig zu erledigen.
Wo liegen die Probleme?
Augen, Nase und Mund auf die gleiche Höhe zu legen scheint selbst für einen guten Zeichner in diesem Alter noch einige Überwindung zu kosten. 
Man wird es nicht für möglich halten, aber manchem Fünfzehnjährigen fehlt bei der Abwicklung noch der Überblick darüber, wie die Ansichten richtig zuzuordnen sind. Da schaut schon mal bei der Draufsicht die Nase nach hinten. 
Für viele Schüler bedeutet es eine Überwindung, die Rechtecksflächen ganz auszufüllen. So stößt die Nase in mancher Profildarstellung zwar an der Umgrenzungslinie an, aber die Draufsicht oder Untersicht werden nicht in voller Tiefe genutzt.
Auch in der hier wiedergegebenen Schülerarbeit liegt die Nase in der Frontansicht höher als in den Profilen.

Zuletzt werden die Ansichten mit den notwendigen Klebefalzen versehen, gefaltet und zum Quader zusammengeklebt. Nun kann jeder durch Peilen und Drehen selbst seine Fehler finden und einen Fehlerbericht schreiben.

Anwendungsbeispiel
Schüler wollen vielleicht wissen, warum man sowas macht. Für diesen Fall könnte man im Anschluß an die eigene Arbeit Anwendungsbeispiele aus dem Bereich der Skulptur zeigen. Der Bildhauer, der aus Holz oder Stein durch Abtragen von Material eine Figur oder einen Kopf formt, richtet sich als erstes einen Block in der Größe her, wie er ihn für seine Plastik benötigt, nicht größer, weil ihm das viel Mühe beim Abtragen machen würde. Auf die Seitenflächen zeichnet er sich die Profilansichten, die Front, die Rückansicht und oben eine Draufsicht. Dann kann er durch Peilen ermitteln ob er schon genug abgetragen hat, oder sich noch tiefer ins Material hineingraben muß. Beim Kopf aus Holz könnte man als ersten Schritt mit der Bandsäge ein Profil aus dem Block sägen und müßte dann nur noch den Rest etwas mühsamer mit dem Messer bearbeiten.
Literatur
Zum Thema Proportionen gibt es im KUSEM eine ganze Reihe von Seiten:
Dürer geht wie die meisten Proportionslehrer der Renaissance aus von Vitruv, dem römischen Architekten aus der Zeit des Kaisers Augustus. Die populärste Darstellung des Kanons von Vitruv ist der "Mann im Quadrat" von Leonardo da Vinci.
In einer Unterrichtseinheit für die 6. Jahrgangsstufe sind die Proportionen des menschlichen Kopfs/Gesichts für den Unterricht aufbereitet.
Für den Leistungskurs sind verschiedene Proportionssysteme für die Darstellung der menschlichen Figur im Vergleich aufbereitet.