Anziehpuppen

...Warum? Wozu?
Denk ich dein Fleisch hinweg, so bist
Du ein dünntrauriges Knochengerüst,
Allerschönstes Mädchen du...
                                      Ringelnatz 'Mißmut'
 

von Uli Schuster

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Spielsachen sind durch die entsprechenden Museen und eine reichhaltige Literatur eine stets leicht zugängliche und von Seiten der Motivation immer sichere Quelle für Aufgaben, die der Kunstunterricht seinen jüngeren Klienten bieten kann. In der Regel gehen sie zurück auf archetypische Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. Puppen jeder Form gehören vermutlich seit der Steinzeit dazu. Ein bürgerlicher Sonderfall ist die als  Ausschneidebogen auch heute noch in einer Vielfalt erhältliche Ankleidepuppe. Sie hat Vorläufer, die bis ins 18. Jh. zurückreichen, wurde aber offenbar erst im 19. Jh., mit dem Aufkommen der Lithografie, zu einem weit verbreiteten und billigen Kinderspielzeug entwickelt. Wie aktuell so ein 'altmodisches' Kinderspielzeug sein kann zeigt eine Eingabe des Begriffs in eine Internet Suchmaschine und die damit erzielbare hohe Trefferquote. Neueste Meldung vom Computer-Spiele-Markt: Electronic Art bringt mit Sims 2 ein Computerspiel mit digitalen Kleiderpuppen auf den Markt. Die Konkurrenz schläft nicht: Ubisoft kontert mit "Playboy - The Mansion"

Einstieg
Eine sinnvolle Voraussetzung für das Herstellen einer Anziehpuppe scheint mir die Auseinandersetzung mit den Proportionen des menschlichen Körpers etwa anhand der berühmten Vitruv-Illustration von Leonardo da Vinci. Viele Schüler kennen diese Zeichnung aus unterschiedlichen Zusammenhängen. Ich höre mir dann erst einmal an, was sie dahinter vermuten und aus welcher Zeit die Zeichnung stammen könnte. Auch Leonardo da Vinci ist vielen als Künstler bekannt. Über die im Bild enthaltene Geometrie mit Kreis und Quadrat lenke ich auf Leonardos Interesse an Architektur hin. Leonardo hat in dieser Zeichnung einen Abschnitt aus einer alten Architekturlehre illustriert, die in der Renaissance neu entdeckt und aus dem Lateinischen übersetzt wurde. "Zehn Bücher über Architektur" heißt das Werk und es stammt von einem Architekten, der zur Zeit des Kaisers Augustus lebte, einige Jahre vor dem Beginn unserer Zeitrechnung.
Dieses umfassende Werk über die Baukunst enthält im dritten Band ein Kapitel, in dem es um die Formgebung der Tempel geht, dessen Glieder wie beim Menschen alle in bestimmten Verhältnissen = Proportionen zueinander stehen.

Hefteintrag
Die Schüler erhalten eine Kopie von Leonardos Zeichnung zum Einkleben ins Heft. Die Maßlinien an der Brust, der Hüfte und dem Knie werden gestrichelt nach außen verlängert und bezeichnen jeweils ein Viertel der Körperhöhe. Dieses Viertel findet sich auch als gemeinsame Länge von Unterarm und Hand sowie als Schulterbreite.

Die Proportionen des Menschen (nach Vitruv)

Proportionen bedeutet Maßverhältnisse. 
Vitruv schreibt:
"Den Körper des Menschen hat die Natur so geformt, daß das Gesicht vom Kinn bis zum oberen Ende der Stirn und dem unteren Rand des Haarschopfes 1/10 beträgt, die Handfläche von der Handwurzel bis zur Spitze des Mittelfingers ebensoviel, der Kopf vom Kinn bis zum höchsten Punkt des Scheitels 1/8...von der Mitte der Brust bis zum höchsten Scheitelpunkt 1/4...Ferner ist natürlicherweise der Mittelpunkt des Körpers der Nabel. Liegt nämlich ein Mensch mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Rücken, und setzt man die Zirkelspitze an der Stelle des Nabels ein um einen Kreis zu schlagen, dann werden von dem Kreis die Fingerspitzen beider Hände und die Zehenspitzen berührt. Ebenso wie sich am Körper ein Kreis ergibt, wird sich auch die Figur des Quadrats an ihm finden. Wenn man nämlich von den Fußsohlen bis zum Scheitel ein Maß nimmt und wendet dieses auf die Armspanne an, so werden beide Maße übereinstimmen."
Originaltext Vitruv mit leichten Vereinfachungen

Schließlich vermessen sich die Schüler mit dem Meterstab gegenseitig, tragen ihre wichtigsten Körpermaße in eine Tabelle ein und zeichnen schließlich eine Proportionsfigur mit ihren Maßen im Maßstab 1:10. 

Meine Körpermaße:
Gesamthöhe Sohle bis Scheitel (an der Wand stehend)...
Kopf vom Kinn bis zum Scheitel...
Gesicht vom Kinn bis zum Haaransatz...
Schulterbreite...
Beinlänge von der Sohle bis zur Hüfte...
Armspanne...
Unterarm mit Hand vom Ellbogen zur Spitze des Mittelfingers...

Die Schwierigkeit einer genauen Bestimmung der Messpunkte führt in der Regel zu längeren Diskussionen.
 
Lehrplan:
Bruchrechnen ist erst Stoff in der 6. Jahrgangsstufe, damit sollte der Kunstlehrer die Kinder nicht irritieren, aber eine Strecke oder ganze Zahl in zwei, vier oder 8 Teile zu teilen, das darf man ihnen zutrauen. Im übrigen ist der Maßstab in Geografie zu behandeln, ist der Körper des Menschen Gegenstand in Biologie und in Natur und Technik. Die Mathematik, um die es hier geht ist 'Mathematik im Alltag', worunter sie sich auch im Lehrplan der 5. Jahrgangsstufe findet.


Das Skelett als maßgebliches Körpergerüst
Aus der Biologiesammlung beschaffen wir uns ein Skelett, das die Kinder bereits als "Oskar" kennen. Am Skelett besprechen wir den Bewegungsapparat (Gelenke) und den Aufbau der Muskulatur. Wo sich am Körper wenig Muskeln über den Knochen spannen, das kann durch Abtasten jeder selbst erspüren. Es ist auch ganz hilfreich, wenn man den Schülern zum Skelett einen Körperumriss zeigt, an den sie sich bei der folgenden Aufgabe anlehnen können:
                                                                    rechts: Rollover
Aufgabe:
Entwerfe durch Pausen über der Kopie des Skeletts einen männlichen oder weiblichen Körper. Die kontrastreich kopierte Vorlage wird dazu unter das Blockblatt gelegt und scheinen leicht durch. Wenn das Papier des Zeichenblocks zu dicht ist, dann nimm ein 80g leichtes Schreibmaschinenpapier für diese Arbeit oder pause mittels Durchleuchtung am Fenster.

 

Manche Schüler haben Probleme mit der Darstellung von primären Geschlechtsmerkmalen. Sie beginnen dann einfach mit der zweiten Schicht, auf der die Figur schon mit Unterwäsche bekleidet ist.

Ein Geheft mit mindestens 6 Seiten
Unsere Ankleidepuppe wird als Geheft realisiert.Aus diesem Grund erhalten die Schüler bereits das Skelett auf einem DIN A4 großen Bogen so angeordnet, dass daraus die letzte und erste Seite des Gehefts durch Falzen gebildet werden kann. In diesen Falz werden dann die folgenden Seiten eingelegt und am Ende mit einer Heftmaschine oder einer Fadenheftung gebunden. Auf den folgenden Seiten soll die Figur schrittweise bekleidet werden mit Unterwäsche, Anzug bzw. Kostüm, Kleid, Mantel etc. Das ist auch eine Konzentrationsübung, weil auf jedem Blatt zwei Zeichnungen unterzubringen sind, die dann beim Blättern nacheinander erscheinen müssen. Geheftet wird erst wenn alle Zeichnungen koloriert sind, weil sonst möglicherweise die Farbe durchschlägt. In der Regel haben die Kinder großen Spaß an dieser Aufgabe und sind leicht zu motivieren dem Gehebt auch einen angemessenen Umschlag zu verpassen, auf dem das Heft einen Titel erhält, der Autor bezeichnet wird, ein Verlag erfunden und ein Preis deklariert wird. Auch die Bezugsquellen für die Kleider, Reklame für die Marke und dergleichen gehören dann zur Ausstattung. Ganz raffinierte Schüler schneiden die Seiten an geeigneten Stellen so auf, dass vielfältige Kombinationen entstehen können. Die hier gezeigte Arbeit stammt schon aus den 70er Jahren.

Literatur - Quellen:
"Traumwelt der Puppen", ein Ausstellungskatalog der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München 1991/92
Auf den Seiten 214 bis 224 gibt es hier zahlreiche Abbildungen zu historischen Ankleidepuppen aus Papier.

"Geschnittenes Papier" von Sigrid Metken im Verlag Callwey 1978 erschienen, widmet den "Probiermamsellen" aus Papier im Kontext mit den Hampelmännern ein reichhaltiges Kapitel (S.163-192) in dem auch auf Künstler wie Bouchet und Dürer Bezug genommen wird. Nürnberg und Augsburg waren in Deutschland führend in der Verbreitung solcher Produkte, weshalb ein Besuch in den lokalen Puppenmuseen, auch in München, angeraten werden kann.

AVIVA Berlin bietet an ein Flash Tutorial von Gerlinde Behrendt: Dressup-Doll - Wir erstellen die Figur positionieren die Kleidungsstücke....

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