Der Kopf als Modell und Skulptur
 

von Uli Schuster 

Januar 2010

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Wer im G8 unterrichtet muss das kunstüädagogische Rad nicht neu erfinden. Ein Reifenwechsel, neue Ventile und die eine oder andere Speiche auszutauschen sollte fürs Erste genügen. An praktisch-bildnerischen Aufgaben und Übungen, die in der neuen Oberstufe so gelten können wie bisher sind in dieser Sammlung des KUSEM etliche enthalten. Um nur einige zu nennen: Die hier dargestellte Unterrichtsequenz basiert auf der Idee, dass im Modellieren und Skulptieren den Schülern zwei unterschiedliche bildnerische Denkmodelle vorgestellt werden können, die verschiedene ästhetische Vorstellungen begründen. Wie in der Unterrichtseinheit über Modelleure und Bildhauer dargestellt konnten solche ästhetische Fragen in der Kunst der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jh zu erheblichen künstlerischen Kontroversen führen. Es ist daher durchaus sinnvoll, einer Schülergruppe beide Herangehensweisen anzubieten und die unterschiedlichen Erfahrungen dazu zu nutzen um Verständnis für die ideologischen Positionen zu gewinnen.

A Studien zum Schädel
Wer in seiner fachlichen Lehrmittelsammlung keinen Schädel hat, der kann sich vielleicht in der Biologie einen leihen. So wie beim Zeichnen der menschlichen Figur eine klare Vorstellung vom Skelett als dem statischen Gerüst eine Hilfe darstellen kann, scheint beim Zeichnen des Kopfes eine grundlegende Vorstellung vom Schädel sehr hilfreich. Wir beginnen also unsere Studien zum Kopf am Schädel, den wir nach dem Modell in zwei Ansichten zeichnen, frontal und im Profil. Vor dem Zeichnen sollten einige Überlegungen zum Aufbau der Grobform und zu deren Proportionen angestellt werden. Das sollte man mit den Schülern erarbeiten, vielleicht sogar durch ein Vermessen des Modells, vielleicht aber auch durch Messungen, die man an fotografischen Abbildungen von Front- und Profilansicht vornehmen lässt.
Unser Schädel, ein Kunststoffmodell, entspricht in seinen Proportionen etwa dem von Bammes entnommenen Schema, das die Kopfhöhe in drei gleiche Teile gliedert: Vom Kinn, dem Tiefsten Punkt, bis zur Nasenunterkante, von dort bis zur Braue, von dort bis zum höchsten Punkt des Schädeldachs, dem Scheitelpunkt. 
Schülern der Oberstufe kann man durchaus mehrere Proportionsschemata vorführen, die z.T. erheblich voneinander abweichen um deutlich zu machen, dass das Messen oft auf ein Zahlenspiel hinausläuft. Möglichst einfache oder symbolträchtige Zahlen sind da bevorzugt anzutreffen.Dem gegenüber halten sich natürliche Köpfe eher selten, oder nur ungefähr, an die Regeln der Proportionslehren. Das kann man ihnen kaum verübeln.

Die Darstellung von Bammes ist dem "Arbeitsbuch zur Künstleranatomie" entnommen

Rekonstruktion von Gesicht und Kopf
Über die gezeichnete Profilansicht legen wir ein Transparentpapier und versuchen darauf - nun aus der Vorstellung - eine Rekonstruktion von Gesicht und Kopf. Schädel und Kinn sind nur in wenig Muskulatur eingebettet. Die größten 'Aufpolsterungen' sind im Gesicht vorzunehmen. Nase und Lippen springen weit vor. Bei der Lippenspalte kann man sich orientieren an der Zahnreihe des Oberkiefers. Von den in den großen Augenhöhlen liegenden Augäpfeln ist außen am Gesicht nur ein ganz kleiner Teil zwischen den Lidern zu sehen, bei jungen Gesichtern zeichnen sich die Augenhöhlen am deutlichsten bei den Augenbrauen ab. Erst bei älteren Menschen wird der untere Rand der Augenhöhle zwischen Lid und Wange an einer Falte (Augenringe, Tränensäcke) sichtbar. 
Diese zeichnerische Übung nimmt gedanklich ein Problem vorweg, das wir in einem zweiten Schritt plastisch bearbeiten wollen.

Modellieren eines Schädels
Bevor wir dieses zeichnerische Verfahren in eine plastische Variante übersetzen suchen wir nach einer Reduktion des Schädels auf die plastischen Grundformen, aus denen er sich als Modell aufbauen lässt. Vorschlag einer Schülerin: eine leicht abgeflachte Kugel für den oberen Teil des Schädels und einen flachen Halbzylinder für die beiden Kiefer. Das plastische Modell bauen wir mit weiß brennendem Ton aus diesen beiden Grundformen zusammen, die wir proportional aufeinander abstimmen. Eine Gesamthöhe zwischen 10 und 15 cm kann als Richtschnur dienen, um einen sinnvollen Grad an Detaillierung zu erreichen.
Nach dem Modellieren lassen wir die Form trocknen und brennen sie.
Während wir die Kugel erst voll formen, biegen wir den Halbzylinder für die beiden Kiefer gleich hohl aus einem flachen, länglichen Quader.  Die Nahtstellen müssen gut miteinander verbunden werden. Anschließend wird der Schädel innen weitgehend mit einer Schlinge ausgehöhlt und kann dann auf ein Stativ platziert werden, wo er weiter bearbeitet wird. An der Frontseite zeichnen wir uns einige Markierungen an für die Lage der Augenhöhlen, des Nasenbeins und der Trennlinie von oberer und unterer Zahnreihe. Dann erst geht es ans Ausformen der diversen Teile des Schädels, wobei wir auf die Durchbrüche am Unterkiefer und den Wangenknochen (Jochbein) verzichten.
Wir nutzen die Vorteile des Modellierens: Wo zu wenig Masse ist, wird mehr Material angetragen, wo zu viel ist, wird geschabt, geschnitten, gebohrt.

 

Werkzeuge
Der Bedarf an Werkzeugen ist eher gering. Modellierhölzer und Spachteln kann man zur Not auch selber herstellen. Schlingen zum Aushöhlen schon weniger. Für den Unterricht sind solche aus Plastik zu bevorzugen.

B Der Kopf als Skulptur
Schon in der vorbereitenden Zeichnung unterscheidet sich die Herangehensweise an die Skulptur. Der Kopf kann nicht aufgebaut werden, sondern wird aus einem Quader abgetragen. Dazu ist eine Vorstellung angemessen, die sich des Zusammenhangs der 6 möglichen Flächenansichten des den Kopf umschreibenden Quaders versichert. Für dieses plastische Strukturgerüst nehmen wir uns eine Zeichnung zum Vorbild, die Dürer in seinem Dresdener Skizzenbuch hinterlassen hat. Sie zeigt Profil-, Frontalansicht, Untersicht und Rückansicht auf einen Kopf und die jeweiligen Peilungen in einem aufeinander bezogenen Raster aus vertikalen und horizontalen Linien. 
Unser zeichnerischer Entwurf folgt der Idee Dürers, die Ansichten des Kopfs auf die Seitenflächen eines Quaders bezogen zu denken. Dieser Quader ist in der Durchführung der Skulptur der Bildhauerblock, entweder aus Stein, oder in unserem Fall aus Holz. Durch Peilung lassen sich die Zusammenhänge zwischen Profilansicht und Frontalansicht herstellen und so jeweils ermitteln, was vom Block abgetragen werden kann und was besser stehen bleibt. Diese Vorgehensweise haben bereits die Steinmetzen der alten Ägypter zur bildhauerischen Methode ausgebildet, was sich an Werkstattfunden nachweisen lässt. 
Dürers Darstellung liefert für unser Vorhaben noch eine andere Lösung: Wer mit Holz arbeiten will kann seinen Block aus mehreren horizontalen oder vertikalen Schichten = Brettern zusammenleimen. Bei Holz hat das den Vorteil, dass sich in der Skulptur weniger Risse bilden. Wenn er die Schichten vor dem Leimen mit der Säge profiliert spart er sich eine Menge Arbeit mit dem Stemmeisen. Das setzt allerdings voraus, dass er für den jeweiligen Körperschnitt ein eigenes Profil zeichnen muss. Für Großskulpturen, die nicht aus Stein gefertigt werden - etwa Dekorationen auf Faschingswagen oder Filmdekorationen - bieten sich Schaumstoffe an, die im Handel als Platten vertrieben werden und schnell sowie billig zu verarbeiten sind.

Die Darstellung von Dürer ist ein Holzschnitt aus seiner Proportionslehre, Blatt E2b

Wie oben bereits angedeutet kann man über Proportionen sehr verschiedener Meinung sein.Während Bammes die Kopfhöhe in drei gleiche Abschnitte teilt, teilt Dürer, in der Folge von Vitruv, nur die Gesichtshöhe in drei gleiche Abschnitte: Vom Kinn bis zur Unterkante Nase, von dort bis auf die Höhe der Augenbraue, von dort bis zum Haaransatz. Dafür kalkuliert er für den Schädel offenbar eine größere Varianz, kommt für seinen maximalen Fall auf deutlich flachere Schädel. 
Das mag uns anspornen möglichst unsere eigenen Messungen vorzunehmen, mag uns aber auch eine Beruhigung sein, wenn wir zu anderen Ergebnissen kommen.

Die Darstellung von Bammes ist dem "Arbeitsbuch zur Künstleranatomie" entnommen

Anders als beim Modellieren nehmen wir uns beim Schnitzen die Freiheit, die Proportionen plastisch zu vergröbern. Insbesondere die Bestandteile des Gesicht vergrößern und vergröbern wir eher um es beim Schnitzen später einfacher zu haben. Wir denken bei der Zeichnung eher an Puppenköpfe und Karikaturen als an realistische Portraitköpfe. Wir beugen uns dabei auch Materialproblemen, z.B. der Brettdicke, die uns zur Verfügung steht um die Klötze auszusägen und der Durchgangshöhe unserer Dekupiersäge, mit der wir das Kopfprofil ausschneiden.
Zum Schnitzen verwenden wir Lindenholz. Aus einem gehobelten Brett von 4 cm Dicke werden zwei Quader gesägt, die wir später zu einem Block verleimen. Der 8 cm dicke Block wäre zu hoch für den Durchgang der Säge, weshalb das Profil zweimal gesägt werden muss. Wer über keine Dekupiersäge verfügt und etwa mit der Laubsäge arbeiten muss kann so dicke Bretter gar nicht verarbeiten und muss nach obigem Muster mit mehreren dünnen Schichten arbeiten. Das kann auch eine Erleichterung sein. 
Die Profilansicht übertragen wir jeweils auf einen Holzblock und sägen die Form mit der Dekupiersäge (eine Art elektrische Laubsäge) aus. Beide Profile werden mit Dispersionskleber verleimt und im Schraubstock verpresst. Schon während der Leim trocknet kann der Block im Schraubstock mit der Raspel auf ein einheitliches Profil zugerichtet werden. Erst nach dem Trocknen des Leims wird der Klotz ausgespannt und an Front und Hinterkopf die benötigten Breitenmaße für Kopf und Ohren, Nase und Augen angezeichnet.
Nach dem Zurichten des Profils und in der Folge vor jeder größeren Reduktion muss die Zeichnung wieder klären, was abgetragen werden kann. 
Mit der Handsäge (Fuchsschwanz) werden die Ohren freigestellt, die in der Breite über den Schädel hinausragen. Dann wird nach und nach mit dem flachen Stemmeisen, dem Hohlbeitel oder Schnitzmessern die Nase und der Mund freigelegt und dadurch die Wangen, die Nasenflügel, die Augenhöhlen und Mundwinkel sowie Stirn und Kinn gerundet.
Der Bildhauer merkt sehr schnell, dass Holz in Längsrichtung zur Maserung springt/splittert, quer zur Faser härter erscheint als in Richtung der Faser. Die Schüler wissen das noch nicht, deshalb muss es ihnen der Lehrer sagen. Jeder Schnitt muss gut überlegt sein, denn: Was einmal weg ist, das wächst nicht mehr so leicht hin. Gut abgelagertes und trockenes Lindenholz kommt in seiner Struktur dem Anfänger entgegen, weil es gleichmäßig gemasert ist und nicht so leicht splittert. Aststellen muss man schon bei der Wahl des Bretts vermeiden. 

Werkzeuge
Hohlbeitel, Stemmeisen flach, Raspel rund, Raspel flach/halbrund 
Schnitzmesser

 


 
Literatur: 
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