Seminar Gymnasialfach Kunsterziehung                               Fachgebiete der Kunsterziehung
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Formen des 
Beschreibenden Bilds
Vom bildlichen Realismus zum technischen Bildkonzept
Uli Schuster
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Das Kindliche Erzählkonzept entwickelt in der Schemaphase bis zum Alter von 10 Jahren eigene Bildsorten, die in der Entwicklungspsychologie beschrieben werden als Landkartenbilder und Röntgenbilder. Darüber hinaus wird ein zunehmender Hang zum ausdifferenzierten Detail beschrieben und eine sich in der Jugendzeichnung noch verstärkende Tendenz zur Adaption von Darstellungsformen bis hin zur Übernahme, Aneignung medial oder personal vermittelter Vorbilder. (Richter, "Die Kinderzeichnung", 1987, S.53-73). Wenn man versucht, die beschreibenden Aufgaben aus dem kindlichen Erzählkonzept zu isolieren, lassen sich in Annäherung an funktionale Darstellungen Erwachsener folgende Formen unterscheiden:
  • Der Plan/Riß
  • Der Schnitt 
  • Die Studie/Etüde 
  • Die Kopie 
Daraus wird deutlich, daß sich Formen des beschreibenden Bildes mit der Fähigkeit des Kindes zur räumlichen Darstellung entwickeln, geht es doch bei der Beschreibung von Gegenständen um ihre flächige und räumliche Ausdehnung und Gliederung (Proportion und Modellierung), um die strukturelle Beschaffenheit ihrer Oberflächen (Textur) und ihre Reflexionsfähigkeit von Licht (Helldunkel, Farbe, Schatten).
Im Deutschunterricht tauchen entsprechende Textsorten auf: Sachbeschreibung, Bildbeschreibung, Wegbeschreibung, Vorgangsbeschreibung, Gebrauchsanweisung, Personenbeschreibung, Charakteristik
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Der Plan/Riß
Der Plan symbolisiert als abbildende Form die Art und Weise, wie sich der Mensch auf seinen Beinen durch den Raum bewegt. Die Landnahme, der Landkauf kennen als uralte Rechtsformen das Abschreiten der Grenzen eines Grundstücks durch den neuen Besitzer. Landvermessung füuhrt bei Ägyptern und Griechen zu einer umfassenden und detaillierten Methodik der zweidimensionalen Beschreibung, die im Begriff der Geo-metrie noch ihren Ursprung verrät. Der Bau einer Kirche, eines Hauses begann noch im Mittelalter mit dem Abschreiten, Aussegnen und Markieren der Grenzen durch den Priester, den Bauherrn. Feldherrn wie Alexander der Große, Landnehmer wie Columbus hatten in ihrem Gefolge stets Kartographen, deren Aufgabe es war, den Verlauf der Landnahme und die Eigenheiten des eroberten Gebiets in Form von Plänen = Karten festzuhalten. Der Plan ist die Darstellungsform der Landvermesser, Architekten, Designer, Ingenieure. Er birgt in sich konstruktive Absichten. Als Abbildungsinstrument muß er mit dem Riß im Zusammenhang gesehen werden, der über die Aufgabe der Landvermessung hinausweist auf die Höhendimension der zu beschreibenden Objekte, etwa im Aufgabenbereich der Architektur. Die Psychologie kennt das "Kartenbild" als einen Bildtypus der Kinderzeichnung, in dem mehr oder weniger systematisch die extreme Aufsicht zur Darstellung kommt.
Die Silhouette hat ihren Namen von einem französischen Adeligen. Plinius bringt die Erfindung der Malerei und Plastik in Verbindung mit dem Umriß. Die Tochter des griechischen Töpfers Butades soll den Schatten ihres scheidenden Geliebten bei Kerzenschein an der Wand nachgezeichnet und damit die Malerei erfunden haben.
Der Umriß eines Gegenstands ist die sparsamste und effektivste Form der linearen gegenständlichen Symbolisierung. Um diese Bildform optimal zu nutzen muß der Zeichnerdie charakteristische Ansicht eines Objekts erfassen und sich voll auf die formgebenen Bewegungen der Linie konzentrieren. Eine der effektivsten Übungen zu dieser Gestaltungsproblematik ist der Scherenschnitt. Dem Scherenschnitt voraus geht die Suche nach der Silhouette, der charakteristischen Umrißlinie, in der die typische Form respräsentiert wird. Das Schattenspiel kann die dazu notwendigen erkenntnismäßigen Voraussetzungen liefern.
Grundriß, Aufriß, Seitenriß stellen Objekte in extremen Ansichten dar und zeigen, je nach Objekt, unterschiedliche Charakteristika. Beim Kopf ist es sicher der Seitenriß, das Profil, das die charakteristischste Form bildet. Ebenso bei der bewegten menschlichen Figur, während bei der statischen Figur die Front, der Aufriß, die charakteristischere Form bildet, insbesondere dann, wenn die Arme nicht ganz am Körper anliegen und die Beine nicht völlig geschlossen sind.
Der oben abgebildete Scherenschnitt entstand in einer 5. Klasse zum Thema "Lebenslauf", nachdem zuvor das Prinzip der Silhouette erklärt und mit Hilfe einer beweglichen Figurenschablone auf dem Tageslichtprojektor einige charakteristische Positionen ausprobiert worden waren. 
Zunächst suchten wir nach Lebensabschnitten: 
Kindheit, Jugend, Erwerbsleben, Familiengründung...bis zu den eigenen Enkelkindern, dem Greisenalter und dem Tod. 
In einem zweiten Durchlauf ging es um Bildvorstellungen, die sich mit den Lebensabschnitten in Verbindung bringen lassen, als typisch und repräsentativ dafür gelten können. 
Dann konnten die Schüler einen Lebensabschnitt wählen, aus einem Ausschneidebogen die benötigten Größen von Gliederfiguren wählen, ausschneiden und in die gewünschten Haltungen bringen. Die Gliederfiguren dienten dann als Schablonen und Ausgangspunkt für die Silhouetten der Kinder, mußten durch Kleidung, Gesichtsprofile, Haare, Accessoires ergänzt werden. 
Bäume sollten die einzelnen Lebensabschnitte voneinander trennen. Ein Schüler kam auf die Idee, daß das Alter und der Zustand der Bäume zu dem jeweiligen Lebensabschnitt passen sollte. Wer also mit seiner Figurengruppe fertig war, fertigte einen solchen Baum.
Fotogramme stellen in Bezug auf die Charakteristik der Umrißlinie ein anschauliches Übungsfeld dar. Aus einem Tuschefleck lassen sich Physiognomien entwickeln, Abklatschbilder wie sie der bekannte Rohrschachtest liefert, können zu phantastischen Gestalten ausgearbeitet werden. Das paßt in die Unterstufe besser als in die Oberstufe, wo es gelegentlich über den Surrealismus thematisiert wird, von den Schülern aber meist wenig ernst genommen wird.
In einem bekannten Aufsatz bemüht sich Max Ernst wortreich um den Nachweis, daß er "Erfinder" der Frottage und der Decalcomanie sei. Dieser im Stil eines Hymnus geschriebene Text ist blanker Dadamax - Unsinn. Gombrich kann ein ganzes Kapitel über die Ahnen des "Wolkenlesens" schreiben. Besonders systematisch scheinen A.Cozens (1785) und J.Kerner (1857) das Phänomen erforscht zu haben. (Gombrich, "Kunst und Illusion", 1986, S. 206ff)
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Das Betrachten ägyptischer Zeichnungen, Wandbilder, Plastiken liefert bestes Anschauungsmaterial. Verkehrszeichen, Piktogramme, figürliche Stempel, Symbole einer Bilderschrift geben Anlässe für Gestaltungsaufgaben. Rißartige Darstellungen gehören zu den einfachsten kindlichen Formen der Darstellung von räumlichen Objekten. Vergleichbar dem geometrischen Stil archaischer Kunst suchen Kinder die einfache Ansicht von Objekten, Frontalansicht, Profilansicht und Draufsicht, lange bevor sie beginnen, Objekte im Bild hintereinander zu schichten und Probleme der Überschneidung und Verkürzung zu erfassen. Dabei ermöglicht der Plan, die Draufsicht, den umfassendsten Überblick über die Beschaffenheit des Raumes, der Landschaft. 

Im Alter zwischen 10 und 14 Jahren können Kinder brauchbare Lagepläne ihrer Schule, ihrer Wohnung etc. wiedergeben. Eine Schulhausbegehung mit einer "frischen" 5. Klasse kann die Aufgabe nach sich ziehen, einen Plan des Schulhauses zu zeichnen. Der Schulweg mit seinen wesentlichen Stationen, Gefahrenquellen, Verkehrsmitteln, Strecken, den auf der Strecke liegenden Orientierungspunkten, kann zum Anlaß für eine sachliche Wegbeschreibung genommen werden (Bildbeispiel siehe Bilderzählung S.3).

Viele Brettspiele bauen auf landkartenartigen Rissen auf,  durch die die Spielfiguren sich ihren Weg suchen müssen. Das Entwickeln solcher Spiele, der Einbau von Schikanen, Fallen, Abkürzungen, Umwegen liefert dieser Altersstufe motivierende Bildanlässe, die zwischen sachlicher Orientierung und fiktionalen, erzählerischen Absichten schwanken können (Bildbeispiel siehe Bilderzählung S.4).
Das Labyrinth thematisiert das Problem der Orientierung. Als Zeichenaufgabe in der beginnenden Pubertät trifft es die psychische Konstitution der Jugendlichen voll, spiegelt es ihre Suche nach Orientierung in dieser Welt.

Bauaufgaben verknüpfen die zunächst getrennt wahrgenommenen Raumansichten von Grund- und Aufriß miteinander. Einen Würfel, einen Quader, ein  Haus zuerst als "Netz"auf die Zeichenfläche abzuwickeln, dann auszuschneiden und zum Körper zusammenzukleben ist eine immer wieder interessante Aufgabenstellung für die Unterstufe und kommt auch in der Geometrie der 6. Jahrgangsstufe vor (Flächenberechnungen). Ausschneidebogen komplizierterer Objekte kann der Lehrer selbst  entwickeln oder im Modellbaugeschäft kaufen. Neben Architektur stellen Fahrzeuge, Maschinen, Puppenbühnen, Guckkästen   Herausforderungen dar, die häufig im Schwierigkeitsgrad noch von älteren Jugendlichen einiges verlangen und neben den Fertigkeiten des Modellbaus auch das Planlesen und -darstellen schulen. In seinem Dresdener Skizzenbuch zeichnete Dürer die Abwicklung eines menschlichen Kopfes auf der Mantelfläche eines Quaders, also in sechs Ansichten. Das halte ich für eine Übung, die man einer Mittelstufenklasse immer empfehlen kann.
Die Platonischen Körper, insbesondere die vielflächigen wie der Ikosaeder oder der Dodekaeder stellen in der Abwicklung und im Bau einige Anforderungen an konstruktive Präzision und waren darüber hinaus ein jahrhundertelang geltendes ästhetisches Phänomen, dem Schüler auch heute noch einen Reiz abgewinnen können.
Komplizierte Dachformen, insbesondere Turmdächer aus Papier und Karton nachgebaut, erfordern vorab eine präzise Zeichnung in Grund- und Aufriß. Anschauungsmaterial gibt es dazu in der Umgebung der Schule hinreichend.

Die Drei-Tafel-Projektion ist eine systematische Weiterentwicklung der perspektivischen Darstellungsverfahren in Richtung auf Objektivität. Während die Zentralperspektive die subjektive Sicht des einen Auges darstellt, ist die Parallelprojektion entsubjektiviert und den Zwecken von Architektur, Maschinenbau, Technik allgemein optimal angepaßt. Von dem Franzosen Gaspard Monge (1746-1818) zur wissenschaftlichen Form entwickelt, hat die darstellende Geometrie im 19.Jh. erhebliche Wirkungen auch auf die Malerei gehabt. (Sellenriek, "Zirkel und Lineal", München, 1987 und  Baxandall, "Ursachen der Bilder", Berlin, 1990) 

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Der Schnitt
Nach dem Verständnis der technischen Darstellung ist der Plan eines Hauses (der Grundriß) eine Schnittdarstellung. Wenn die beiden Darstellungsverfahren hier unterschieden werden sollen, dann vor allem deshalb, weil der vertikale Schnitt durch Objekte eine Darstellungsform ist, die, wie das "Kartenbild" in der Kinderzeichnung, gleichsam naturwüchsig vorkommt. In der Psychologie hat diese Darstellungsform den Namen "Röntgenbild". Der Ausdruck aus der Medizin bezeichnet hier eine Darstellung, die einen Blick hinter die Oberfläche der Dinge wirft, der ein seziererisches, zergliederndes, beschreibendes Interesse am Inneren der Dinge zugrunde liegt. Egal, ob dem eine naturwüchsige Fähigkeit entspricht, oder ob hier eine konventionelle Form früh von Kindern aufgegriffen wird, erscheint mir als Tatsache gegeben, daß Kinder im Alter zwischen 9 und 14 Jahren sich gern dieser Bildform zur Beschreibung von Innereien bedienen. Die meisten Kinder kennen solche Darstellungen aus Bilderbüchern, aus Klappbildern oder aus dreidimensionalem Spielzeug, wie Puppenstuben, Puppenhäusern.
Schnittdarstellungen entsprechen dem Bedürfnis, hinter die Oberfläche von Dingen zu sehen, und kommen damit zum Teil sicher auch noch aus einem magisch - animistischen  Verständnis der Dingwelt. Hinter jedem unbelebten Ding kann sich ein beseelendes Prinzip verbergen, hinter jeder Mauer ein Geheimgang, eine Tapetentür, unter jedem Hügel ein geheimer Bunker, ein Schatz, ein Versteck... Burgen, Berge, Häuser, Schiffe, Fische (  Jonas und der Wal ) aufzuschneiden und ihr Inneres ans Tageslicht zu bringen, das kann das Faszinosum von Ausgrabungen, Schatzsuchen und Abenteuern haben. 
Zeichnerische wie plastische Aufgabenstellungen bieten sich hier an. Die Entdeckung der Innenwelt mag psychologisch im Zusammenhang stehen mit der Ausbildung von Individualität, denn auffällig ist die Neigung, das im Schnitt dargestellte Objekt als Fuchsbau, Überlebensbunker, Schiff, Raumschiff, Burg, mit wehrhaften Instrumenten, Waffen auszustatten und sie gleichzeitig mit allen Dingen zu versehen, die ein Überleben in Autonomie ermöglichen. Buben und Mädchen besetzen solche Aufgaben mit unterschiedlicher Symbolik. Interessante Aspekte kommen dementsprechend zu einer solchen Aufgabe hinzu, wenn es gelingt, Partnerarbeit oder Gruppenarbeit anzuregen, und die Nahtstellen,  Andockmöglichkeiten  zwischen den Arbeiten zu thematisieren.

Anziehpuppe: 
vom Skelett  zum Mannequin.  Was Trägt der Herr darunter? Die menschliche Figur vom Skelett her denken verlangt viel in der  5./ 6. Jahrgangsstufe. 
Schülerarbeit, 6. Jgst

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Die Studie/Etüde
Landkartenbilder und Schnittdarstellungen lassen neben sehr sachorientierten Beschreibungen immer auch eine Vermengung mit narrativen Elementen zu. Das ist in der Zeichnung auch sehr sinnvoll, wo es ja nicht, wie in der fachdidaktischen Theorie, um eine Formenlehre geht, die nach prägnanten Darstellungsformen Ausschau hält.
Der Begriff Studie ist in der Psychologie der Kinderzeichnung nicht gebräuchlich, er entstammt der Kunstlehre. Koschatzky bezeichnet damit eine Funktion der Zeichnung ( Die Kunst der Zeichnung 1987, S.309 ). Die Studie ist ein "sorgfältiges Versenken in Einzelfragen". Sie kann verschiedene Aspekte der physikalischen Erscheinung eines Objekts in den Vordergrund rücken und bildet dazu eigene Methoden aus: Die räumliche Ausgedehntheit, Perspektive, Proportion, Gliederung, Volumen; Licht als farblicher Reflex, als Glanz, als Modellierung und Schatten - alle diese Aspekte kennen in der Zeichnung eigene Darstellungsregeln, sind auf bestimmte Darstellungstechniken zugeschnitten.
Jugendliche entwickeln die Darstellungsformen der Studie vermutlich nicht aus eigenem Antrieb, aber im Kontext mit erzählerischen und beschreibenden Aufgaben stellt sich dem Schüler der Unterstufe immer wieder an einzelnen Objekten ein Problem, zu dem er Rat und Hilfe des Lehrers sucht. In vielen Fällen sagt man dann als Lehrer: Dieses Phänomen stellt nicht nur für dich ein Problem dar, das haben mehrere Schüler in der Klasse, so daß eine gezielte Auseinandersetzung mit dieser Frage angeraten erscheint. Solche Einsichten können schon am Ende der Unterstufe zu Studien führen.
Im Gegensatz zum Zeichnen aus der Vorstellung braucht die Studie ihr Objekt vor Augen. Es muß kein natürlicher Gegenstand sein und braucht kein räumlich ausgedehntes Objekt zu sein. Studere heißt im Lateinischen üben und lernen. Beim Zeichnen kann das einen Unterschied bedeuten. Es ist nicht dasselbe, ob ich den Schülern einen Gegenstand gebe und sie Licht und Schatten studieren lasse, oder ob ich ihnen verschiedene Schraffurverfahren anhand von Künstlerzeichnungen erläutere, und ihnen im Anschluß daran ein Objekt gebe, um diese Verfahren einzuüben.
Bei letzterer Aufgabenstellung würde ich den Begriff Studie nicht gern verwenden, sondern würde es bei "Übung" oder "Etüde" belassen. Die Studie hat für mein Empfinden ein Erkenntnisinteresse im Vordergrund. Der Schüler soll sich etwas selbständig erarbeiten. Bei der Übung stehen der methodische Aspekt und der Nachvollzug im Vordergrund. Die Übung braucht auch weniger ein Anschauungsobjekt als ein Vorbild. Die Studie muß nicht deshalb, weil sie dem Schüler kein Vorbild gibt, auf jede Hilfe verzichten. Die Hilfen, die der Lehrer dem Schüler beim Studium an die Hand gibt, liegen im zu studierenden Objekt selbst und in der zeichnerischen Technik. 
Studie: Helldunkel
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Übung: Geflecht
Studien müssen nicht immer am dreidimensionalen Objekt vorgenommen werden. Insbesondere wenn es um Helldunkel Phänomene geht, ist die indirekte Beobachtung über ein Medium manchmal äußerst hilfreich. Beim Zeichnen des eigenen Gesichts kann man dem Schüler einen Spiegel geben, aber man kann die Unterrichtseinheit auch mit der Fotografie beginnen. Die Ausleuchtung des Gesichts beim Fotografieren, die Beobachtung von Schattenbildung bei frontaler Haltung oder im Halbprofil werden damit eine Stufe vor die Zeichnung verlagert. Die Arbeit in der Dunkelkammer wiederum schafft Einsicht in das Phänomen Kontrast. Wenn der Schüler dann nach der selbst gefertigten Fotografie zeichnet, stellen sich ihm die Probleme der Übersetzung vom räumlichen Objekt in die flächige Zeichnung schon nicht mehr. Auch das Fixieren des bewegten Objekts ist dann kein Problem mehr, so daß sich der Zeichner ganz auf das Studium von Tonverläufen, Halbtonflächen, Tonstufen konzentrieren kann.
Entsprechendes gilt für den Kopierer und die Videokamera, wobei die Videokamera gegenüber der Fotografie den Vorteil des Sofortbildes hat, der Kopierer schnell und preiswert eine ganze Skala von Tonauszügen als Filterungen liefert.
Im bayerischen Abitur ist es üblich, daß der unterrichtende Lehrer zwei Tage vor der Prüfung auf einem ministeriellen Schreiben eröffnet erhält, welche Materialien er für die Prüfung besorgen soll. Jeder Kunsterzieher wird sofort den Braten riechen, wenn er dort aufgefordert wird, ein Sortiment weißer Objekte bereitzustellen, oder wenn er Maiskolben, oder Gläser und metallische Objekte zu beschaffen hat. Weiße Objekte stellt man dem Schüler hin, wenn er Helldunkel Studien machen soll, Maiskolben führen fast zwangsläufig zur Federzeichnung, bei Flaschen und metallischen Objekten geht es mit Sicherheit um Transparenz, Reflexion und Glanz. Dazu gehören jeweils bestimmte Zeichenmittel, mit denen sich feine Halbtonverläufe und eine breite Skala an Grautönen darstellen lassen, also weiche Stifte oder auch Kreiden und Kohle. Bei letzteren Zeichenmitteln muß man dem Schüler auch noch das entsprechende Papier und ein sinnvolles Vergrößerungsverhältnis geben. Im Grunde geht der Lehrer dann aus von einer Vorstellung von Materialgerechtigkeit. Objekt und Zeichenmittel sollen den Schüler auf den richtigen Kurs zwingen - ein alter Trick aus der Kiste der Werkerziehung.
Viele dieser Aufgaben stammen aus der akademischen Mottenkiste und sind deshalb bei Künstlern oder Kunststudenten wenig beliebt. Das Zeichnen von Haaren, Fell, Federn, Frisuren, Knoten, Schnüren, mit der Feder (oder mit Kugelschreiber) kennt Vorbilder, die bis in die Renaissance zurückreichen. Die Gewandstudie, der Faltenwurf ( Draperie ), ein geknülltes Stück Papier, ein gefaltetes Stück Papier, ein Taschentuch, der eigene Schuh, Pullover... - viele dieser Objekte haben den Vorteil, daß jeder Schüler sie genauso wie seine Hand, sein Gesicht bei sich hat, der Lehrer sie also nicht erst beschaffen muß. Auf der anderen Seite macht es nicht allzuviel Mühe, in einer Sammlung Kunsterziehung sich in ausreichender Anzahl Sortimente von Holzquadern, Flaschen, Zündkerzen, großen Schrauben, Wurzeln zu Studienzwecken zu halten. Werkzeuge sind ohnehin meist in größerer Stückzahl vorhanden.
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Studie: Hobelspan
Wenn bei der Studie die selbständige Entdeckung im Vordergrund stehen sollte, dann darf man allerdings nicht davon ausgehen, daß Schüler 'das Rad nacherfinden' können. Studien ziehen oft gezielte Übungen nach sich. Das Auge eines 13-jährigen Jugendlichen kann auch an einem geeigneten Objekt oft wenig Anhaltspunkte für Schattenbildung und Lichtreflexe finden. "Man sieht nur, was man weiß" soll Goethe gesagt haben. Die zeichnerischen Formeln für die physikalischen Phänomene sind nur zum geringeren Teil den Objekten selbst zu entnehmen, in der Hauptsache stützt sich die Darstellung auf Konventionen, Regeln. Die Schattenbildung am stereometrisch gezeichneten Quader, an einem zylindrischen Schlauch, Spitzlichter an einem verchromten Rohr lassen sich auch ohne Anschauung von Vorbildern bis zu einem gewissen Grad schematisch erarbeiten. Die eingeübten Lösungen können den beobachtenden Blick trüben, sie können aber auch das Sehen anleiten.
Studie: Holzklötze
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Studie: die eigenen Schuhe
Studien im engeren Wortsinn sind schließlich die Bildauszüge, Diagramme, die im Rahmen der Bildanalysen in der Oberstufe, insbesondere im Leistungskurs, von den Schülern gefordert  werden. Mit Hilfe dieser meist skizzenhaften und schlichten Darstellungen soll sich der Schüler den bildhaften Bestand einer Malerei oder Plastik zeichnerisch erschließen, indem das Raumgefüge auf seine elementaren Bestandteile zurückführt, den flächigen Aufbau der Komposition extrahiert, Farbpalette und Helldunkel - Verteilung aus dem Gesamtzusammenhang löst. Entsprechende zeichnerische Untersuchungen lassen sich auch an Architekturdarstellungen  durchführen. Im Unterschied zu den oben beschriebenen Zielrichtungen der Studie stehen zeichnerische Bildauszüge meist in einem interpretatorischen Kontext mit textlichen Ausführungen.
Studie: liegende Figur
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Studie: meine Körpermaße
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Die Kopie
Das beschreibende Interesse am Bild gipfelt in der Kopie. Bei dieser Bildsorte steht im Vordergrund das Interesse an der Nachbildung einer Vorlage. Schon ein Streben danach erscheint in der Kunsterziehung nur wenigen Vertretern überhaupt sinnvoll, manche halten schon Annäherungen an ein solches Vorhaben für verderblich, weil hier der Raum für die eigenständige und schöpferische Äußerung gegen Null geht. Dabei kennt die akademische Praxis über Jahrhunderte hinweg die Übung der nachbildenden Kopie. Dürer war sich nicht zu gut, nach Mantegna zu Zeichnen und zu stechen. Darüber hinaus gibt es eine Phase in der Entwicklung des Jugendlichen, in der er sehr stark das zeichnerische / malerische / plastische Vorbild sucht und mit Lust und Energie das Kopieren betreibt. Eigenartig, daß Kunsterzieher sich hier nicht an ihre eigene Jugend erinnern, sondern aus einem engen Kunstdünkel heraus wissen wollen was falsch und richtig sei. Die Psychologie der Kinderzeichnung spricht hier von "adaptierter Repräsentation" oder "quasikünstlerischer" Darstellung (Richter). Insbesondere die Akademien haben hier Probleme mit den Aufnahmemappen der Bewerber, die mit dem Erfahrungshorizont schulischer Kunsterziehung antreten und Suchbewegungen nach ästhetischen Vorbildern sichtbar werden lassen.

Mir ist bewußt, daß ich hier einen Bereich unseres Fachs anschneide, der vielen Kunsterziehern völlig abwegig erscheinen mag. Ich sehe darin nur uralte Werkstattpraxis. Generationen hervorragender Künstlerindividuen sind durch eine harte Schule des Studiums nach der Natur, des Kopierens und des Übens gegangen und haben doch zu ihren ganz persönlichen Ausdrucksformen gefunden. Und die meisten Schüler wollen und sollen gar keine Künstler werden. 

Bestimmte Feinheiten der zeichnerischen, malerischen, plastizierenden Technik lassen sich nur in peniblem Nachvollzug erkennen. In der Archäologie und bei der Restaurierung von Bildern, bei der arbeitsteiligen Produktion von Comics und Zeichentrickfilmen, bei zahlreichen Illustrationsaufgaben, in der Werbegrafik,  in den Bereichen Bühnenbild und Dekoration ist die Fertigkeit zur Nachbildung von Vorlagen, sogar zur freien Nachgestaltung von Zeichen- und Malstilen, eine absolute Notwendigkeit, die mancher Künstler nicht entfernt beherrscht und auch nicht braucht. Solche Gestaltungsbereiche unter der Forderung nach 'künstlerischer Originalität' zu begraben, halte ich aber für schlichtweg hochnäsig. Auch hier liegt eine gestalterische Fähigkeit, die in der Kunsterziehung Förderung und Ausbildung verdient.
Im Kunstunterricht wird nicht nur die Nachgestaltung nach der zeichnerischen oder malerischen Vorlage ihren sinnvollen Platz haben, sondern auch die Kopie fotografischer Vorlagen einen Sinn ergeben, insofern hier im Medium der Zeichnung eine Reflexion des Mediums Fotografie ihren Ausgang nehmen kann. So hat die Entwicklung zum Fotorealismus gezeigt, daß auch das Ausloten dieser Grenze sachlicher Bilddarstellung ein künstlerisches Interesse zu binden vermag, daß der Versuch, die Technologie der z.B. fotografischen oder druckgrafischen Bildherstellung, in einem mit der Hand gemalten oder gezeichneten Bild zu übertreffen, eine Reflexion über das Bild als Medium darstellt, also durchaus ein Anliegen auch der Kunst sein kann.