Barbie
und Ken
Überarbeitung & Veränderung idealisierter Körperlichkeit eine Unterrichtseinheit für die Mittelstufe des Gymnasiums von Elisabeth Güllich, Seminar 2005-07 |
Die beschriebene Unterrichtseinheit wurde in einer 9. Jahrgangsstufe durchgeführt, ist aber prinzipiell auch für Schüler bis zur 11. Jgst. gut geeignet. Wie im Lehrplan des Gymnasiums angegeben, entsteht bei Schülerinnen und Schülern dieser Altersgruppe „das Bedürfnis, sich an Leitbildern auszurichten“. Die übergeordnete Unterrichtseinheit basiert auf der Auseinandersetzung mit „idealen“ Körpervorstellungen des Menschen. In dem Zusammenhang kann eine Unterscheidung der Begriffe Naturalismus - Realismus - Idealismus stattfinden. |
Die Unterrichtseinheit wird eingeleitet
von einer Rekapitulation der Proportionen des menschlichen Körpers,
die oft schon in der Unterstufe thematisiert wurden. Auf ein Arbeitsblatt
zeichnen die Schülerinnen und Schüler spontan, aus der Vorstellung
und ohne vorhergehende Klärung der Proportionsverhältnisse einen
frontalen Akt auf ein Blatt (die Mädchen eine Frau und die Buben einen
Mann). Beim Vergleich der entstandenen Arbeiten (alle aufhängen und
nach Merkmalen suchen sowie sortieren lassen) wird klar, dass es unterschiedliche
Auffassungen von Körperbau und den Proportionen der Körperteile
zueinander gibt. Einige Figuren werden als realistischer, natürlicher
eingeschätzt als andere und im Spannungsfeld zwischen männlicher
und weiblicher Figur kann man leicht die Frage nach einem idealen
Körperbau stellen ohne dass dazu ein Einvernehmen hergestellt werden
muss.
Durch Abmessen am eigenen Körper (Suche nach einer Maßeinheit nicht mit Meterstab oder Maßband, sondern mit einer Schnur) entdeckt die Klasse sodann, dass sich auffällige Bezüge der Körpermaße feststellen lassen (z.B. die Länge der Hände im Bezug auf das Gesicht, ...). Eine schematische Darstellung (z.B. Leonardo nach Vitruv) der Körperproportionen mit Bezug auf die Einheit "Kopflänge" wird am Overhead detailliert besprochen und der Begriff des „Ideals“ erörtert. In der folgenden Arbeitsphase wird den Schülerzeichnungen auf dem Arbeitsblatt das Proportionsschema gegenübergestellt. (Frau und Mann, vgl. Bammes, Lang) |
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Bei der einleitenden Betrachtung
zweier Abbildungen (Maillols „Sommer“ von 1910 und Rodins „Victor
Hugo“ von 1897) werden einzelne Aspekte der Bildbetrachtung geübt.
So lernen die Schüler z. B. auf Haltung und Proportionen
als Ausdruck von Individualisierung oder Idealisierung der
Skulpturen zu achten.
Mit dem Sommer bearbeitet Maillol eine allegorische Figur und folgt damit einer bildhauerischen Tradition, die es bis in die Gegenwart hinein der Öffentlichkeit erleichtert, nackte Frauen- oder auch Männergestalten im städtischen Raum zu ertragen. Anders verhält es sich, wenn etwa eine unbekleidete Figur eine identifizierbare Person oder gar eine bekannte Gestalt aus Politik oder Zeitgeschichte darstellen würde. Dann ist in der Regel Aufregung und Skandal gegeben. Dieses Problem kommt nicht erst durch den seit der Mitte des 19. Jh bestimmenden Wandel zum Realismus auf. Schon der klassizistische Bildhauer Canova fertigte ein Standbild von Napoleon, das den französischenFeldherrn und Kaiser nackt zeigte. Victor Hugo (1802-85) ist wohl der bedeutendste Schriftsteller der französischen Romantik . Romane: 'Notre-Dame de Paris' lieferte die Vorlage für den Film 'Der Glöckner von Notre-Dame', 'Les Misérables', ein historisierender Kriminalroman.
Maillol, Aristide (1861-1944) gilt nach Rodin als bedeutendster Anreger für die Plastik in der ersten Hälfte des 20. Jh. Sein bekanntestes Werk dürfte die 'La Méditerranée' (1902-05) sein, auch eine allegorische Figur. Im Gegensatz zu Rodins Expressivität und einer impressionistisch anmutenden Oberflächengestaltung geht es ihm eher um eine Erneuerung klassizistischer Ideale. Damit wirken seine Aktdarstellungen auch noch auf Künstler des 3.Reichs für vorbildlich. Rodin, Auguste (1840-1917) entwickelt seit 1877 einen plastischen Stil, der im Zusammenhang mit dem zeitgleichen Impressionismus gesehen wird. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jh arbeitet er an einem Denkmalauftrag für den Dichter Balzac, von dem es eine nackte und eine bekleidete (im Schlafrock) Version gibt, die für die Franzosen erst 1939 akzeptabel war und in Bronze gegossen wurde. |
Statt Originalpuppen zu verwenden, habe
ich mich dazu entschieden, mit einem Abguss zu arbeiten. Dadurch reduzieren
sich Aspekte der Puppen wie z.B. Farbgestaltung, Oberflächenbeschaffenheit
und die typische Stofflichkeit dieser Figuren. Gleichzeitig wird der Spielzeugcharakter
der Puppen abgeschwächt. Das Überarbeiten einer Originalpuppe
könnte darüber hinaus verstanden werden als das Verunstalten
einer Puppe, die für einige selbstverständlich zur eigenen Kindheit
gehört.
Jeder Junge der Klasse erhält zur Bearbeitung einen Abguss von „Ken“, jedes Mädchen einen der „Barbie“. So kann sich jede/r mit der eigenen Körperlichkeit auseinandersetzen, ohne dem anderen Geschlecht unter einem Objektcharakter zu begegnen.
Übrigens: Da die zum Überarbeiten verwendete Knetmasse Bestandteil der Rohform ist, kann man am Ende alles wieder einschmelzen und neue Formen daraus gießen. |
Auf der Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung
mit dem „idealen Körperbild“ unserer Zeit sollen „Barbie“ und „Ken“
nun nach den Vorstellungen der Schüler belebt werden. So soll die
Diskrepanz zwischen Idealvorstellung und individueller Körperlichkeit
erkannt werden. Mit der praktischen Arbeit wird auf „begreifbare“ Weise
die Reflexion über gängige Leitbilder unterstützt.
In den folgenden Stunden wird noch einmal extra auf Haltung sowie Gestaltung des Kopfes und der Gesichtszüge eingegangen (Proportion, Kindchenschema, Symmetrie, ...). |
Literatur: |