Illustrativer Farbgebrauch
Eine Unterrichtseinheit für die 9. Jahrgangsstufe

von Uli Schuster

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Zeichnung und Malerei von Kindern und Jugendlichen sind näher an einem illustrativen Verständnis vom Bild als sie sich einem künstlerischen Bildverständnis verdanken. Trotzdem findet man in der Kunsterziehung ganz selten eine Reflexion illustrativer Grafik oder Technik und ganz rar werden Illustratoren als Vorbilder bemüht, wenn man einmal absieht von Comiczeichnern oder Karikaturisten. Tomi Ungerer scheint mir als zeichnerisches oder malerisches Vorbild für Kinder oder Jugendliche in vieler Beziehung eine größere Relevanz zu besitzen als mancher Künstler, der sich in Schulbüchern oder Lehrplänen findet. Ich habe einer 9. Jahrgangsstufe einige von Ungerers Illustrationen aus dem "Großen Liederbuch" gezeigt und insbesondere stimmungsvolle Licht- oder Wettersituationen herausgegriffen. Wir bestimmten die verwendete Palette durch Nachmischen der Töne und beschrieben die farbliche Erzeugung bestimmter Effekte um sie später gezielt in eigenen Versuchen anwenden zu können.
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Die Lichtstimmung beschreibt ein Morgengrauen. Der Himmel ist bereits hell, aber das Licht reicht noch nicht aus, um die ganze Szene auch im Vordergrund auszuleuchten. So heben sich die Figuren und Formen im Vordergrund relativ dunkel in stumpfen und getrübten Farben gegen den hellen Himmel ab. Die Sonne geht mit einem warmen, rötlichen Licht auf und bildet am Himmel einen sehr blassen Verlauf von Gelb über Rot und Violett nach Blau. Diese Farben des Himmels haben keinerlei Deckkraft. Um einen sanften Verlauf zu erzeugen sollte man das Papier vor dem Farbauftrag gleichmäßig befeuchten. Die Farbe wird dann in hoher Verdünnung horizontal aufgetragen, wodurch wolkenartige Schleier entstehen können. Die Form des Jägers wird beim Anlegen des Himmels nicht ausgespart, weil die Farben des Jägers in jedem Fall die des Himmels überdecken.
Die Trübung der Grüntöne im Hintergrund und Vordergrund erreicht man am besten durch Mischung eines stumpfen Grüntons mit seiner Gegenfarbe Rot, wodurch man die graubraune Tönung erreicht. Rot zum Abstumpfen von Grün vermittelt an manchen Stellen im Gras oder am Rücken des Hundes auch das warme Morgenlicht. Würde man das Grün mit Schwarz trüben, dann würde daraus eine kalte Farbigkeit resultieren. Auch im unteren Bildteil verlaufen die Farben sanft. Das Papier wurde also vor dem Farbauftrag feucht (nicht nass!) gemacht.
Das farbliche Gegenstück zur warmen Morgenstimmung liefert diese kühle Abendstimmung. Die Sonne reicht gerade noch aus um den Himmel zu erhellen. Eine dicke Wolkendecke läßt in den Vordergrund kaum noch Licht dringen. Es kommt zu einem ähnlichen Effekt wie im ersten Bild. Die Objekte und Formen des Vordergrunds zeichnen sich silhouettenartig und dunkel vor dem helleren Himmel ab. Die Farbigkeit ist auf einen Tonbereich von Blau bis Blauschwarz reduziert. In der dunklen Masse des Wagens leuchtet das helle, weiße Fenster, dem ein wenig Gelb beigemischt ist. Das sanfte Verlaufen der Töne erreicht man durch Befeuchten des Papiers vor dem Farbauftrag und eine Malerei "nass in nass". Da die Motive des Vordergrunds sich scharf vom Hintergrund absetzen sollen, muß der Hintergrund weitgehend abgetrocknet sein, wenn der Vordergrund aufgesetzt wird. In jedem Fall muß der Himmel als Schicht zuerst angelegt und der Wagen später übermalt werden.
Beim Nachbilden solcher Paletten fällt der reduzierte Tonumfang und der strikte Verzicht auf eine bunte Farbigkeit auf. Die Töne entstammen in der Hauptsache einer sekundären oder tertiären Mischung. Allerdings ist dabei bis auf die zeichnerische Linie kaum Schwarz im Spiel, erfolgt die Trübung eher über den Weg komplementärer Beimischungen. Zur Trübung von Blau kann man Orange beimischen. Auch Spuren von Grün und Gelb lassen sich ausmachen. Schwarz wirkt leicht wie ein Fremdkörper in einer derartigen Umgebung. Das Weiß läßt sich vermutlich nicht allein durch Aussparen erreichen, sondern muß mit deckender Farbe aufgetragen werden, was leicht zu sehr harten Rändern führt. Diese löst man nach dem Trocknen vorsichtig mit einen feucht ausgequetschten, spitzen Pinsel an. Wenn man dazu vorsichtig auch etwas Wasser verwendet, lassen sich die weißen Farbränder mit dem Blau des Sees oder des Himmels gezielt verschmelzen.
Ein eisiger Tag. Die Sonne dringt kaum durch den dunstverhangenen Himmel, zeichnet sich als großer orangefarbener Ball mit einem gelben Hof in den weißlich und mit einem Schimmer Rot getrübten blaßblauen Himmel. Nur im Vordergrund zeichnen sich die Formen scharf ab, das Haus und die Bäume im Hintergrund sind mit einem blassen Schleier überzogen. Der Schnee ist keineswegs ein bloßes Weiß, sondern reflektiert an den Kuppen der Hügel das nur lauwarme Sonnenlicht, während in den Tiefen das Blau des Himmels seine Reflexe hinterläßt. Diese blauen Schatten oder orangen Lichter sollten immer etwas getrübt  oder vergraut verwendet werden. Vergrauen kann man eine Farbe durch Beimischung ihres farblichen Komplements, also der Farbe, die ihr im Farbkreis gegenüber liegen würde. Blau - Orange, Rot - Grün. Wieder zeichnen sich die Figuren und Formen des Vordergrunds eher in satten und dunklen Tönen vor dem hellen Umfeld ab. Selbst das rote Kopftuch der Frau ist mit Blau ins Kalte hinübergezogen.
Aufgabe
Der Betrachtung folgen eigene Versuche. Um die Probleme auf die Farbe zu focussieren habe ich den Schülern eine Zeichnung von Tomi Ungerer aus seinen Illustrationen zu "Heidi" kopiert (14 cm Bildbreite). Arbeitsauftrag: Koloriere die gegebene Zeichnung in vier farblichen Varianten, z.B. bei Nacht, bei Gewitter, bei Sonnenaufgang, bei Schnee. Die Vorlage gibt auch den schwächeren Zeichnern die Chance ihr Farbgefühl, unverstellt durch zeichnerische Probleme, unter Beweis zu stellen. Für die meisten Schüler dürfte ein eher aquarellierender Gebrauch der Wasserfarben mit Schwierigkeiten verbunden sein. Farbe wird auch in der Mittelstufe gern mit dicken Pinseln und nach heftigem Umrühren dick aufgetragen. Hier aber steht nun der sparsame Gebrauch von Wasser und Farbmaterial im Vordergrund.
Schülerarbeit
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Im Lehrplan Kunst der 9. Jgst gibt es zum Lernbereich Bildnerische Praxis einen Abschnitt "Abbild und Variation", zu dem diese Aufgabenstellung eine Anregung liefern kann.