Puppen, die mehr als tanzen
Ein paar Ideen zum Puppenbau im Fach Kunst

von Uli Schuster

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Das Puppenspiel war in der musischen Kunsterziehung lange Zeit ein wesentlicher Bestandteil des Unterrichts. Wo aber mit Puppen gespielt werden soll, da müssen erst einmal Puppen gebaut werden. Der Kunstunterricht mit seiner Orientierung auf Kunst und bildnerische Mittel hat die Idee vom Spiel als erzieherischem Mittel weitgehend verdrängt und auch dem Werken in diesem Zusammenhang - hier also dem Puppen- und Bühnenbau - wenig 'Bildnerisches' abringen können. An manchen Stellen bleibt dann im Kunstunterricht die Bastelei von Puppen  und Puppenstuben übrig, aber zum gemeinsamen Spiel und zur Vorführung kommt es oft nicht mehr.
Vielleicht gibt es aber gerade heute wieder eine Chance dieses alte Lehr- und Lernmedium zu erneuern, und zwar vielleicht dadurch, dass man es in Verbindung bringt mit Video und Animation, also einer technisch-medialen Form des Spiels, die dem ungeübten Spieler dadurch entgegenkommt, dass Einstellung für Einstellung gearbeitet werden kann. 
Dieser Unterricht macht die Schüler auch bekannt mit einer Spielkultur von hohem ästhetischen Wert, die ihren Ursprung in der Volkskunst vieler Völker hat. Wer aber als Kunsterzieher unbedingt eine Legitimation in der Bildenden Kunst sucht, der mag sich vielleicht auf Oskar Schlemmer, Olaf Gulbransson, Edward Kienholz oder Stephan von Huehne berufen. 
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Bewegliche Bilder
Bewegliche Bilder liefern in mancher Beziehung die papiermechanischen Grundlagen, die auch beim Bau von Puppen benötigt werden. Die Spielmöglichkeiten sind begrenzt, und jeder Schüler fertigt seine 'Bühne' selbst. Bewegliche Bilder kennen viele Schüler aus ihrer Kinderzeit von Bilderbüchern, die auf papiermechanischen Grundlagen beruhen. Das Münchener Puppenmuseum im alten Rathausturm und das Münchener Stadtmuseum beherbergen eine große Sammlung "lebender Bilder" aus der Werkstatt von Lothar Meggendorfer (1847-1925).
Aus finanzieller Not hat der Maler Meggendorfer seinen Kindern 1878 ein selbst gemachtes Bilderbuch mit beweglichen Figuren geschenkt, und wegen des Erfolgs, den er damit auch publizistisch hatte, ist daraus eine ganz stattliche Reihe geworden. Die papiermechanischen Wirkungen beruhen physikalisch auf dem Hebel, werden durch Schieber oder Drehräder in Gang gesetzt werden. Schüler der 7. oder 8. Jahrgangsstufe empfinden es als echte Herausforderung solche Mechaniken zu entwickeln. Die bügelnde Mutter stammt von dem Schüler einer 8. Klasse. Ein Problem hat er nicht ganz bewältigt: Die Hand hätte noch ein Gelenk benötigt.
Werkzeuge
Neben Scheren und Tapetenmesser ist eine Ahle (oder Radiernadel) sinnvoll. Wenn man mit Musterbeutelklammern arbeiten will, dann sollte man einige Lochzangen bereithalten, um den Gelenken einen 'leichten Gang' zu ermöglichen. Meggendorfer hat die Achsen für die Gelenke seiner Figuren anfangs von seinen eigenen Kindern aus dünnem Draht herstellen lassen. Der Schüler hat für seine Büglerin Reißnägel verwendet. Auch ein Zwirnfaden, den man vor und hinter dem Gelenk an die Hebel anklebt erfüllt bei nicht zu schwerer Pappe seine Zwecke. Graupappe und Zeichenkarton oder Aktendeckel bieten sich als Materialien an, Tapetenreste, Geschenkpapiere, kleingemusterte Stoffreste sind immer gut für die Accessoires verwendbar.
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Scherenschnittfiguren
Lotte Reininger hat sie bekannt gemacht: bewegliche Scherenschnittfiguren, mit denen sie ihre berühmten Märchenfilme herstellte. Der Schritt vom beweglichen Bild zur Scherenschnittfigur ist nur gering und besteht darin, die Figur von einer festen Verbindung mit einem Hintergrund zu befreien. Vor einer austauschbaren Kulisse wachsen die erzählerischen Möglichkeiten des Papiertheaters mit flachen Spielfiguren. Lotte Reininger hat darüber hinaus Figuren und Kulissen auf Silhouetten reduziert, was nicht notwendig der Fall sein muß.
Im Unterricht ergibt die Trennung von Spielfigur und Kulisse gesteigerte Möglichkeiten für Partner- und Gruppenarbeiten. Als didaktische Musterlösung soll hier ein Videoprojekt zweier Referendare in einer 7. Klasse vorgestellt werden. Die Story wurde von den Referendaren nach einem Märchen "Die drei Wünsche" adaptiert. (Der Film kann hier als Quicktime.mov heruntergeladen werden. Größe: 148 MB !!)
Schüler Paul, der sich in der Schule langweilt, trifft auf dem Heimweg eine Fee, die ihm drei Wünsche gewährt. Und weil Paul nicht sehr klug mit seinem neuen Potential umgeht und auch seine Mutter ein schlechter Ratgeber ist, sind sie am Ende nicht besser dran als zuvor.
Mitspieler: Paul, seine Mutter, eine Fee, eine Schulklasse mit Lehrer, ein Hamburger. ("Drei Wünsche", Luitpold-Gymnasium 1998, Referendare Nicole Frenzel und Günter Stöber)
Mit der Klasse wurde diese Geschichte in Szenen und Einstellungen gegliedert, wurden die Darsteller und ihr Charakter herausgearbeitet. Nach ersten Entwürfen wurden für manche Arbeiten Teams gebildet, für andere fanden sich Experten, die einzeln z.B. eine Figur bearbeiteten. Nach der Fertigstellung der Spielfiguren und Kulissen fanden im Unterricht erste Probeaufnahmen statt. Damit waren auch neue Rollen zu verteilen: Wer führt die einzelnen Figuren, wer ist für Kamera, Licht, Regie, Aufbau der 'Stage' zuständig...(In den Bildern der ersten Zeile von li.nach re.: Mutter, Paul, Fee; in den Animationen der zweiten Zeile drei Beispiele für bewegliche Elemente). 
In so einem Unterricht muß man als Lehrer immer darauf achten, dass man ausreichend Arbeitsaufträge findet, mit denen man solche Schüler bei der Stange hält, die sich für eigenverantwortliches Arbeiten als weniger zuverlässig erweisen.
Die geeigneten Spielfiguren und Hintergrundkulissen wurden in einer zeichnerischen Phase ermittelt, an der die ganze Klasse beteiligt war. Von allen Figuren mußten dann verschiedene Ansichten oder auch Größen gezeichnet werden oder durch Kopieren hergestellt werden je nachdem ob die Figur für eine Großeinstellung oder eine Halbtotale gebraucht wurde; einige Figuren erhielten bewegliche Glieder. Spielfiguren, die mehr strapaziert werden, sollte man auf Pappe oder dünnes Sperrholz kleben und dann mit der Laub- oder Dekupiersäge ausschneiden. Das bringt für die mechanischen Arbeiten erhebliche Vorteile. Durch die kulissenartige Staffelung des Raums konnte bei der Kamera mit Unschärfe und echten Schatten gearbeitet werden, z. B. als Paul durch die Stadt und durch den Park nach Hause geht. Bis zum Erscheinen der Fee war die Szene mit Ausnahme von Paul nur in tristem Schwarzweiß gehalten. Nach dem Erscheinen der Fee war die Landschaft dann farbig.
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Hand- und Fingerpuppen
Von den dreidimensionalen Puppen sind die Hand- und Fingerpuppen die einfachsten Formen und beim Spiel die anspruchslosesten. Über die Hand und Finger gestülpt folgen sie deren Bewegungen ganz unmittelbar. Für das direkte Spiel sind sie daher auch besonders geeignet. Jim Hanson hat aber auch gezeigt, dass sie für das Fernsehen ganz hervorragend geeignet sind. Wenn man sie in unterschiedlichen Größen baut, dann kann man sie auch mit lebenden Darstellern interagieren lassen. Die Videokamera leistet dann das, was sonst Aufgabe der Puppenbühne ist, die Spieler dem Blick des Publikums zu entziehen. Durch die Kamera, ihre Eigenbewegungen und den Schnitt kommt ins mediale Puppenspiel ein Tempo und eine Handlungsvielfalt, die heute insbesondere die älteren Kinder brauchen, um dem Puppenspiel über einen längeren Zeitraum mit Aufmerksamkeit zu folgen.
Fingerpuppen kann man ganz einfach formen. Aus Ton (Gewicht!), aus Pappmacheé, aus Plastika Holzformmasse modelliert man die Köpfe. Für den Körper verwendet man eine Socke , einen alten Handschuh oder schneidert ein passendes Kleid mit zwei Ärmeln für Daumen und Mittelfinger. Der Kopf wird  auf den Zeigefinger gesteckt. Durch die Muppets hat man gelernt mit einem Socken zu spielen, dem man zwei Knöpfe als Augen aufgenäht hat. Mit älteren Schülern kann der Puppenbau in Verbindung mit plastischen Abformtechniken realisiert werden, etwa so, wie im mittleren Bild gezeigt, oder besser so, dass man mehrere Rohformen für die Köpfe herstellen lässt, die dann durch aufkaschieren mit Pappmacheé individualisiert werden.
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Stabpuppen
Beim Bau von Handpuppen haben wir uns eine Größendimension für die Köpfe gewählt, bei der wir unsere eigenen Hände als Mitspieler verwenden können, wie man das von der Muppetshow (Jim Hanson) kennt. Teppichrohr aus Pappe findet sich in jedem zweiten Baucontainer, wenn in den Wohnungen Teppiche verlegt wurden. Mit der Säge läßt es sich in gleichhohe Zylinder sägen. Mit der Handsäge und einem Kreislochschneider kann man die Öffnungen für Mund und Augen schneiden. Holzkugeln in passender Größe und Schnitzholz für Nase und Unterkiefer bekommt man im Bastelbedarf oder im Holzhandel, das Holz für die Handgriffe läßt sich aus Dachlatten aussägen. Für die Achsen verwendet man Rundstäbe aus Buchenholz. Ösenschrauben benötigt man zum Umlenken oder befestigen von Seil- oder Gummizügen.
Für die Bauanleitung und Ideen zur Mechanik der Puppen ist Hansjürgen Fettig, "Hand- und Stabpuppen", Verlag Frech, Stuttgart 1970 eine Hilfe. Doch für das erfolgreiche Unterrichten scheint es mir notwendig, dass der Lehrer auch einmal selbst eine Puppe gebaut hat, an der er das ausprobiert hat, was er seinen Schülern vermitteln will. Manches davon stellt sich so vielleicht schon im Vorfeld als etwas kompliziert heraus, wie beispielsweise die wackelndem Ohren bei der Stabpuppe unten. Für die Augenbrauen und den Schnurrbart wurde eine alte Bürste geopfert, die Wolle für die Haare blieben beim Stricken eines Pullovers übrig.
Beim Rollover über das linke Bild der Dame sieht man, wie der Mund auf Daumendruck bewegt wird. Für das Schließen der Augen dient der Hebel, der mit dem Zeigefinger bewegt werden muß. Die Dame hat Wimpern aus Echthaar, die beim Haarschneiden geopfert wurden.
Wie oben schon erwähnt findet der ambitionierte Puppenbauer und -Spieler bei Hansjürgen Fettig ganz hervorragend illustrierte Anregungen für den Bau, die Spielmechanik, die Ausstattung, Farbgebung, Proportionierung etc. von Hand- und Stabpuppen. Der Korpus ist bei Fettig häufig aus Pappe gefertigt, deren individuelle Form durch Kaschieren über Knetmasse oder Ton erzeugt werden kann. Die mechanisch belasteten Teile sind aus Holzleisten und Rundstäben zugeschnitten. Schrauben, Seilzüge, Rückspanngummis, Lederstreifen für Gelenke sind in jedem Heimwerkermarkt zu kaufen oder im Haushalt vorhanden. Nur für wenige Teile, wie z.B. die Hände, muß man zum Schnitzmesser greifen und sollten eine Dekupiersäge und ein Elektrobohrer im Werkraum zur Verfügung stehen.
Auch ein Stück medienpädagogische 'Aufklärung' lässt sich im Zusammenhang mit dem Puppenbau unseren Schülern vermitteln, Aufklärung über die komplexen und raffinierten Puppentricks im Zusammenhang mit dem Animationsfilm. Für "Nightmare before Christmas" hat Tim Burton manche der Akteure in verschiedenen Maßstäben bauen lassen. Einige der Hauptcharaktere, beispielsweise Jack (im Bild unten), besitzen ein bewegliches Innenleben aus Stahl, mit dessen Hilfe sie in jede gewünschte Bewegungsphase gebracht werden konnten. Für die Gesichtsausdrücke  dieser einen Figur gab es ein ganzes Sortiment auswechselbarer Köpfe. 
Bei "Jurassic Parc" von Steven Spielberg ist längst nicht alles mit dem Computer gemacht. Viele der Dinos haben ein aufwändiges maschinelles, mechanisches wie elektronisches Innenleben. In der Abbildung ein Saurier, der für Bewegungssimulationen mit der Hand bewegt werden mußte. Hier gibt es für Puppenbauer, Modellbauer und Puppenspieler auch in Zukunft ein hochinteressantes Betätigungsfeld. Über beide Filme gibt es Bücher und über Jurassic Parc ist auf der im Handel erhältlichen DVD ein recht informatives 'Making of' erschienen.
Frank Thompson: "Tim Burtons 'Nightmare before Christmas", New York 1993
Don Shay und Jody Duncan: "Jurassic Park", München 1993
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Marionetten
Gymnasien, die in Bayern nach dem Krieg bis in die 60er Jahre neu gebaut wurden, hatten im Zeichensaal oft eine Puppenbühne integriert. So auch das Luitpold-Gymnasium in München oder das Gymnasium Hilpoltstein. Bei Umbauten in den 70er oder 80er Jahren wurden solche Bühnen oft entfernt, an manchen Orten mögen sie noch existieren. Über eine heute noch lebendige Puppenspiel Kultur in der bayerischen Kunsterziehung ist mir allerdings nichts bekannt. 
Die größte Marionette, die ich mit Schülern je gebaut habe, war ca. 2m hoch und nur ein Kopf. Für ein Faschingsfest in der Aula des Gymnasiums in Hilpoltstein thronte dieser Koloss mit glühenden Augen über der Bühne und konnte von unten über einen Seilzug sein Maul aufreißen.
Der Kopf wurde in der Bauweise erstellt, wie auch Großplastiken oder Großfiguren für Faschingszüge gemacht werden. Wie auch vom Modellbau bei Schiffen bekannt, bestand der formgebende Hohlkörper aus 'Spanten', das sind vertikale Schnitte durch die Form. Dafür wurde ein Modell gefertigt, dessen Teile dann in vergrößertem Maßstab nachgebaut wurden. Das Gerüst war an einigen Stellen mit Dachlatten verstärkt worden. Die Oberfläche wurde über Hasendraht mit Zeitungspapier kaschiert und mit Dispersionsfarben bemalt.
Marionetten gehören - was den Bau anbelangt - zu den reizvollsten Puppenarten, sind aber schwer zu spielen. Sofern ihre Beweglichkeit sehr viele Funktionen umfasst, kann man zum Spielen einer Puppe mehrere Spieler benötigen, die die Koordination ihrer Aktionen gut einüben müssen. In diesem Punkt sollte man sich von Schülern nicht zu viel erwarten. Für ein gelungenes Puppenspiel halte ich das hier gezeigte Projekt einer Marionettenband. Hier ging es nicht um eine komplizierte Spielhandlung, sondern um die Bewegung der Marionetten zur Musik. In einer Mittelstufenklasse wurden Musiker als Marionetten gebaut für eine im Zeichensaal eingerichtete Bühne. Bei einem Faschingsfest im leergeräumten Kunstraum konnten die Schüler tanzen zu der Musik, die von dieser Marionettenband 'produziert' wurde. Jeder Musiker konnte die für ihn typischen Bewegungen machen, den Bass schlagen, die Hände mit den Trommelstöcken bewegen, furios in die Tasten des Keyboards hämmern etc... Eine Lichtmaschine sorgte für rhythmische Lichteffekte, die durch die Musik getaktet wurden. Den geringen Platz auf dem Spielboden teilten sich immerhin fünf Spieler. Da erwies es sich als vorteilhaft, dass die Puppen alle ihren festen Platz hatten, mit einem oder beiden Füßen am Bühnenboden verankert waren und ihr Spielkreuz aufgehängt werden konnte. Die Spieler mußten die Figuren also nicht tragen, sondern hatten beide Hände frei, um einzelne Seilzüge oder Hebel zu bedienen.
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Literatur
Hildegard Krahé, "Lothar Meggendorfers Spielwelt", Hugendubel, 1983
Hansjürgen Fettig, "Hand- und Stabpuppen", Verlag Frech, Stuttgart 1970
Fettig, H. "Figurentheaterpraxis", Frankfurt a.M., Verlag Nold, 1996 

http://www.sagecraft.com/puppetry/other/bibliography.htmlLiteraturliste PUPPETRY BOOKS
http://www.wellige.com/ulli/muppets.aspViele Informationen zur Muppetshow und anderen Puppenserien in Film u. Fernsehen von Ulrike Baumann
http://www.dolphin.org/erik/frog/puppetrylab.htmlLustige interaktive Grafik von Kermit, die sich mit der Maus spielen lässt.