Elfmeter - "Toor!!"
eine Unterrichtseinheit zum Gestaltungsproblem der räumlichen Tiefenstaffelung 
für die 6. Jahrgangsstufe

von Uli Schuster

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In dieser Aufgabe befassen sich Schüler der Unterstufe mit einem Raumproblem im Vorfeld perspektivisch-geometrischer Konstruktion. Sie lernen einerseits Bilder der Kunstgeschichte  in  ihrem räumlichen Aufbau zu begreifen, erfahren die Tiefenstaffelung als ein Kompositionsprinzip, mit dessen Hilfe sich ein Bildgeschehen dramaturgisch komponieren lässt und üben dieses Kompositionsprinzip mit einem eigenen Beispiel zum Thema "Elfmeter " ein.
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Lehrplanbezug: Ausdrucksvoll ins Bild gesetzt
Material: Zeichenblatt DIN A3 für das Bild, Buntstifte, Wasserfarben, diverse Pinsel evtl. selbst gemachte Stempel.
Zeit: 4-6 Unterrichtsstunden
.Unterrichtsverlauf
Die Unterrichtseinheit beginnt mit einer Bildbetrachtung. Eine Reihe von 3-4 Bildern wird vorgeführt, die nach scenografischen Gesichtspunkten in Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund gegliedert eine Geschichte erzählen. Mit Hilfe des Lehrers erschließen sich die Kinder die jeweilige Erzählung und kommen am Schluss zu dem Fazit, dass die Tiefenstaffelung im Bild als erzählerische Strategie und kompositionelle Ordnung gelesen wird. Als Bilder eignen sich beispielsweise von Bruegel "Die Heimkehr der Jäger", der " Ikarus", die "Winterlandschaft mit Vogelfalle", die " Ernte". Ich demonstriere das Drama an einem Bild des bei uns weitgehend unbekannten amerikanischen Malers John Singleton COPLEY (geb. 1738 in Boston gest. 1815 in London). 

Titel: "Brook Watson and the Shark" von 1778; Öl / Leinwand, 182 x 230 cm; National Gallery of Art, Washington
Suche das Bild in guter Auflösung unter: http://gallery.euroweb.hu/index.html

Mit Hilfe farblich markierter Bereiche verdeutliche ich die Gliederung des Geschehens. Der Vordergrund zeigt den Angriff eines Haifischs auf einen Schwimmer. Nackt und schutzlos liegt der Schwimmer auf dem Rücken im Wasser und versucht mit ausgestreckter Hand das nahe Boot und die Retter zu ergreifen. Offenbar ahnt er die Gefahr, die sich hinter ihm in Gestalt eines riesigen Hais mit geöffnetem Maul nähert. Das Drama wird auch dadurch spektakulär, dass der Schwimmer den Hai nicht sehen kann.
Der Mittelgrund des Bildes gehört den Rettern. Neun Mann eilen in einem Ruderboot herbei. Zwei von ihnen versuchen die Hand des Schwimmers zu ergreifen, um ihn ins Boot zu ziehen, während ein weiterer Mann mit einem Speer ins Wasser sticht. Alle Gesichter sind auf das Geschehen im Wasser gerichtet und das Entsetzen ist in die Minen der Männer geschrieben.
Der Hintergrund des Bildes beschreibt die Szene als in der Nähe eines Hafens gelegen. Viele Masten von großen und kleineren Segelschiffen bieten die Kulisse einer nahen Stadt am Meer, deren hohe Türme zwischen den Segeln und Masten der Schiffe sichtbar sind. Im Übergang vom Mittelgrund und Hintergrund, die auch durch unterschiedliche Helligkeit voneinander abgegrenzt sind, ragt die Sichel einer Rückenflosse aus dem Wasser und zeigt an, dass mehrere Angreifer unterwegs sind und darauf warten, dass sie vom Drama des Vordergrund auch noch ihren Teil abbekommen.
Bei der Betrachtung weiterer Bilder, die sich dieser Komposition bedienen, ist das Hauptgeschehen nicht immer in den Vordergrund gelegt. So verlegt Bruegel den Sturz des Ikarus wie nebensächlich in den Mittelgrund und an den Bildrand, während im Vordergrund ein Bauer seinen Acker pflügt und von dem Drama offensichtlich nichts mitbekommt.

.Hefteintrag
Raumdarstellung - Bildgründe

In vielen Bildern können wir eine Gliederung der Raumtiefe in drei Zonen = Bildgründen vorfinden. 

Der Vordergrund ist dem Betrachter nahe und bietet ihm oft einen Eintritt ins Bildgeschehen.
Der Mittelgrund eignet sich am besten für die Darstellung der Haupthandlung.
Der Hintergrund schildert den Schauplatz und schließt den Bildraum ab.

Der Vordergrund liegt immer unten im Bildfeld, der Hintergrund schließt z.B. mit dem Himmel oben am Bildrand ab. Die Bildgründe sind also meist in sich überlappenden Streifen von unten nach oben auf der Bildfläche verteilt. Bei den Landschaften von Pieter Bruegel (“Heimkehr der Jäger”, “Winterlandschaft mit Vogelfalle” und “Ernte”) führt jeweils ein Weg von links unten nach rechts oben ins Bild. Der Maler gibt damit dem Betrachter eine Art Leseanleitung für die Bildhandlung. Auch in unseren eigenen Bildern verwenden wir oft diesen räumlichen Aufbau.

.Aufgabe
 Weil gerade einmal wieder Fußball aktuell war und ein Spiel hochdramatisch durch Elfmeterschießen entschieden wurde, konnte die Aufgabe an dieses aus dem Fernsehen bekannte Bild anknüpfen und die Gestaltungsprinzipien der vorher betrachteten Bilder auf ein neues Motiv und eine etwas veränderte Raumsicht transferieren: Die Kamera (der Betrachter) steht im Rücken des Schützen, der den Vordergrund besetzt. Die Situation gewinnt an Spannung und Dynamik, wenn er den Ball bereits getreten hat. Ihm gegenüber im Mittelgrund lauert der Torwart oder fliegt er bereits dem Ball entgegen. Zwischen beiden, etwas an den Rand versetzt, steht der Schiedsrichter, der sowohl das Signal gibt, wie das Ergebnis beurteilt.
Hinter dem Tor baut sich die Kulisse der Fans auf, die erste Reihe halb verdeckt hinter der Bandenwerbung. Fotografen und Fernsehteams können die Situation im Hintergrund noch bereichern.
 

Um die Größenbeziehung zwischen dem Torschützen und dem Torwart entwickelte sich später eine angeregte Diskussion. Weil der Beamer schon aufgebaut war und eine Kamera immer bereit liegt, konnte eine vergleichbare Größenrelation schnell im Zeichensaal simuliert werden. Das hat die meisten Schüler doch erheblich überrascht. Dabei war die Distanz im Klassenraum noch deutlich unter den 11 Metern, die beim Fußball notwendig wären. Die Schüler hat diese Art der Beweisführung zwar beeindruckt, aber bei ihren Bildern haben sie die hier gezeigten Proportionen ebenso außer Acht gelassen, wie sie die fotografische Sicht aus der Augenhöhe der Kontrahenden wenig interessierte. Die meisten wählten einen hohen Blickpunkt, wie etwa aus Zuschauerperspektive im Stadion oder mit dem Kran einer Fernsehkamera aufgenommen.

. Probleme
Ein Weiterer Diskussionspunkt wurde im Verlauf der Arbeit die Darstellung des Tors. Weil hinter dem Zeichensaal ein Fotolabor liegt, musste eine Entwicklerschale herhalten, um vorne an der Tafel den Blick in ein Fußballtor zu simulieren. Die Fixiereung an der Tafel bot die Möglichkeit einer Höhenverstellung. Weil allerdings Entwicklerschalen nach unten leicht konisch zulaufen, hatten die Schüler allerdings  auch bei tief gestellter Tafel keine Draufsicht auf den oberen "Torbalken". Etliche Schüler hatten bereits begonnen das Tor in einer parallelperspektivischen Sicht darzustellen und blieben bei dieser Ansicht. Andere Schüler fanden eine weitere Lösung (s.u.).

Bei der Darstellung des Rasens griffen einige Schüler auf eine Rezeptur zurück, die ich ihnen im Zusammenhang mit einer anderen Aufgabe gegeben hatte. Mit einem Borstenpinsel und relativ trockenem Farbauftrag erzeugten sie eine Textur, die gut als Wiese durchgehen kann.

Das Publikum im Hintergrund bereitete einigen Schülern großes Mißvergnügen, weil die Formen von Gestalten und Köpfen sich endlos wiederholen. Ich empfahl diesen Schülern mit Stempeln zu arbeiten. Ein Fingerprint könnte schon als Kopf herhalten. Das hätte auch noch den Vorteil, dass man an der Hand unterschiedlich große Finger hat, womit sich die Staffelung in die Tiefe der Tribüne gut erzeugen ließe. Die Mehrheit in dieser Klasse erwies sich als einigermaßen belehrungsresistent und was ich ihnen nicht direkt und überzeugend vormachte, das haben sie auch nicht gern selbst ausprobiert.

. Lösungen
Alle vier Beispiele greifen in der Anlage des Fußballfelds eine frontalperspektivische Darstellung auf. Alle vier wählen einen relativ hohen Blickpunkt. Ohne dass dies ausdrücklich besprochen wurde, zeigen sie auch das Tor dieser Aufsicht entsprechend und anders, als das an der Entwicklerschale zu beobachten war. Der Raum hinter dem Tor blieb von Zuschauern frei, neben dem Tor fanden gelegentlich Reporter  oder Fotografen einen Platz. Die Publikumsränge liegen bei allen ausgewählten Beispielen über dem Tor. Die Zuschauer definieren auf diese Weise den hohen Betrachterstandpunkt, der allen Darstellungen zu eigen ist.
Psychologisch interessant erscheint mir, welche Identifikationen die einzelnen Schüler zu den gegebenen Rollen aufbauen. Darf der Torwart den Schuss halten, hechtet er in die falsche Ecke oder ist die Sache noch offen und unentschieden? Das Publikum hat die Schüler am wenigsten gereizt. Einige Schüler ließen sich auch nicht davon überzeugen, dass der Schiedsrichter eine ganz wesentliche Rolle in diesem Kampf spielt. Ein Mädchen hat in der Wiese eine Blume sprießen lassen. Vielleichjt war das ein dezenter Protest gegen das Motiv Fußball, das anfangs von einigen Mädchen als "Bubenthema" eingestuft wurde.
. Fußball - ein dankbares Motiv auch für andere Gestaltungsprobleme
Diese Arbeiten stammen nicht aus meinem Unterricht. Ganz offensichtlich ging es hier dem Lehrer darum, einen Anlass für Überschneidungen von Figuren zu liefern. Das ist ein Gestaltungsprinzip, das Kinder vermeiden, wenn sie nicht ausdrücklich dazu aufgefordert werden. Die Vermeidungsstrategie betrifft im übrigen auch das farbliche Anlegen von Hintergründen. Während die linke Arbeit sich der Mühe unterzieht, den Fußballrasen um die Spieler herumzumalen, ließ der Autor der rechten Zeichnung den Hintergrund ungestaltet. Wenn in beiden Arbeiten auch zahlreiche Überschneidungen vorkommen, so vermeiden die Kinder es doch einzelne Figuren etwa durch den Bildrand anzuschneiden. Die Beispiele stammen aus einer 7. Jahrgangsstufe.
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In einer 8. Klasse entstand bei einer Referendarin eine Arbeit, die neben der Tiefenstaffelung auch das Prinzip der proportionalen Verkürzung konsequenter verfolgte als mir das beim "Elfmeterschießen" gelang. Dargestellt sollte der Pausenhof der Schule werden. Ganz offensichtlich erging hier auch die Aufforderung, die Figuren im Vordergrund anzuschneiden. Als zusätzliches Gestaltungsmittel hat die Lehrerin ein Helldunkel thematisiert, das in dieser Tuschezeichnung durch Lavieren und eine Verdünnung der Farbe erreicht wurde. Solche Effekte gehen über das hinaus, was Schüler von sich aus machen würden. Die Reduktion der Palette des Malkastens konnte den Vorgang vielleicht noch bewußter machen.

Die Zeichnung mit den Schlittschuhläufern hingegen liefert das vom Lehrer offenbar unbeeinflusste Konzept einer Reihung und Streuung. Das ist ein typisches Kompositionsprinzip bei Kindern im Alter zwischen 8 und 12 Jahren