Leergeräumt
Kompositionsanalysen können etwas Trockenes an sich haben. Bei allem Respekt vor dem Künstler und seinem Werk kann die Auseinandersetzung mit einem Bild auch auf dem Weg eines praktischen Nachvollzugs, einer Umwandlung, einer Umdeutung, eines Bildzitats, einer Persiflage, Pastiche, Travestie oder Karikatur erfolgen und dann etwas mehr "Saft" gewinnen. Nicht jedes Bild und nicht jedes Thema eignet sich dafür. Aber auch in der Frage nach der Eignung eines Vorbildes, zur Zielscheibe von Veränderung oder gar Spott zu werden, kann man eine erzieherische Aufgabe sehen, zumal auch Transformationen jeglicher Art in der zeitgenössischen Kunst einen erheblichen Faktor darstellen.

von Uli Schuster

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Die Idee ist entlehnt von dem Schweizer Künstler Ursus Wehrli. Wenn man die Kunstgeschichte etwas genauer kennt und auch dem Mythos der künstlerischen Inspiration nicht ganz blind vertraut, dann hat beispielsweise auch schon René Magritte die Idee gehabt ein Bildnis der Mme Recamier von David aufzuräumen. Er hat die gute Frau auf ihrer Chaise Longe in einem Holzverschlag eingesargt und sie somit aus dem Weg geräumt. Dieselbe Respektlosigkeit hat er Manets Majas auf dem Balkon angedeihen lassen.  Es ist also an der Zeit Magritte abzustrafen und er wird Verständnis dafür aufbringen müssen, wenn wir hier ein Bild von ihm einer Strapaze unterziehen, die nicht einmal Verspottung sondern Erhellung zum Ziel hat.
Rolloverbild

Wie bei Hempels unterm Sofa
Der Künstler hat eine Reihe von Bildzitaten vorgelegt, die alle von der Idee leben, einem berühmten Vorbild ein Nachbild gegenüberzustellen, das einen anderen Grad von Ordnung aufweist. Im Beispiel von van Goghs Zimmer in Arles hat er ganz im Sinn eines Malers, der den Boden abdecken möchte, um die Wände frisch zu streichen, alles aufs Bett hochgestellt und was dort nicht mehr unterzubringen war, das hat er unters Bett geräumt. Im Prinzip scheint ein derartiges Spiel mit den Elementen einer Kompostion gut geeignet, um Aufschlüsse zu erhalten über eine Bildordnung und ihre inhaltlichen Implikationen. Die identischen Bildelemente schaffen im selben Bildraum völlig verschiedene Aussagen.
Das Spiel ist mit Hilfe der Retuschewerkzeuge eines Grafikprogramms und dem Computer auf eine ganze Reihe von Werken der Malerei anwendbar. Der Schwierigkeitsgrad einer derartigen Übung hängt etwas ab vom der jeweiligen Vorlage, scheint aber etwa ab Jahrgangsstufe 9 vermittelbar. Die Werkzeuge, die dabei zum Einsatz kommen, sind Ausschneidetools, Radiergummi mit harter und weicher Kante in unterschiedlichen Größen sowie das Stempelwerkzeug. Im Grunde also eine überschaubare Anzahl von Werkzeugen, deren Handhabung dabei vielfältig eingeübt wird.
Rolloverbild

Vorüberlegung
Welche Bilder eignen sich in besonderer Weise für ein derartiges Spiel? Wir haben den Versuch gemacht mit  Innenräumen bei Magrittes "Der bedrohte Mörder" oder Manets "Olympia". Hier war das erstere Bild dankbarer als das zweite. Das lag an der Vielzahl der Bildobjekte, die sich wegräumen ließen, aber auch an der Gliederung des Raums in mehrere Zonen. Magritte schien auch deshalb als Opfer für eine derartige Operation gut geeignet, weil er, wie oben erwähnt, selbst in fremden Bildern gewildert hat. Aus ähnlichen Gründen kommt man beim Bildzitat immer gern auf Manet, dessen Olympia in Tizians Venus eine Ahne hat. Aber die Olympia macht als leeres Sofa weniger her. C.D. Friedrich hat seine Landschaften oft in der Weise "möbliert", dass er Versatzstücke aus verschiedenen Studien zu Kompositionen synthetisiert hat. Insofern bleibt auch hier das Spiel mit Elementen einer Komposition der Vorgehensweise des Künstlers nicht ganz äußerlich und war hier deshalb erfolgreich, weil die Entfaltung der Bildtiefe beim "Wanderer über dem Nebelmeer" über mehrere Zonen erfolgt, die sich auch jeweils einem thematischen Aspekt zuordnen lassen. 
Das Konzept "Leerräumen" ist nicht angewiesen auf digitale Bildbearbeitung, wenn diese hier auch hervorragende Dienste leisten kann. Papiermodelle leisten Vergleichbares, fordern aber andere Fähigkeiten von den Produzenten.

Tatort mit und ohne Leiche
Magrittes "Der bedrohte Mörder" ist ein Beispiel dafür, wie sich Indizien zu einem Tatort, einem Tathergang, zu einem Fall oder auch zu einem Zufall fügen lassen. Das Zusammentreffen bestimmter Elemente verlangt eine Erklärung, führt bei der Spurensuche zu Vermutungen über einen Tathergang, eine Handlung. Ohne die "Häscher" mit ihren seltsamen, archaischen Jagdwerkzeugen könnte der deklarierte "Mörder" - durch Keule und Netz seiner Häscher wird er zur "Bestie" - auch gut ein Detektiv sein, der sich anhört, welche Musik hier zuletzt gespielt wurde. Unter den Surrealisten war ein Zitat von Lautréamont hoch im Kurs: 
"...schön wie die zufällige Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf einem Seziertisch."
Schönheit, Poesie, Sinn oder Unsinn entstehen durch die Begegnung von Elementen, Dingen, Begriffen, Wörtern, die jeweils für sich genommen eine völlig andere Betrachtung herausfordern mögen. Ihr Zusammentreffen drängt uns Schlüsse auf, lässt uns Ursachen vermuten, zwingt uns dazu, uns einen Sinn auf das Geschehen zusammenzureimen. Das mag den Reiz ausmachen, der Magritte zur Kriminalistik, zu Fantomas, zu seinen zahllosen Bildrätseln immer wieder angetrieben hat.

Modell kommt gleich wieder
Drei weibliche Wesen setzt Manet in diesem Bild in Beziehung zueinander. Weiße Frau und schwarze Frau fallen dem Betrachter gleich ins Auge. Weniger augenfällig und vom Dunkel des Hintergrunds fast aufgesogen gibt es am Fußende des Betts auch noch eine schwarze Katze. In der Zweiteilung des Hintergrunds, in der Dienerin und dem Tier als weiteren Akteuren in diesem Bild zitiert Manet Tizians Venus von Urbino. Die Katze allerdings ist bei Tizian ein Schoßhündchen und die Dienerin steht bei Manet für zwei weibliche Personen, die in Tizians Bild stärker in den Hintergrund treten.
Katze und Dienerin als erotische Anspielung und exotische Staffage vermisst man kaum wenn sie einmal von der Bühne abgetreten sind. Das leere Bett hingegen und insbesondere das doppelte und hoch aufgestellte Kopfkissen erweisen sich als grandiose Lagerstatt und Lustwiese, die auch ohne das zierliche "Frauenzimmer" noch eine kräftig erotische Ausstrahlung besitzt. Diese Erkenntnis mag man als Lohn ansehen für die Mühe die es kostet, das Bett für einen Moment von der Dame leer zu räumen.

Nebelmeer mit und ohne Wanderer
Eine 10. Jahrgangsstufe zerlegte C.D. Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer in seine Raumschichten. Die Schüler wurden dazu in Gruppen auf jeweils eine Schicht angesetzt. Dadurch hielt sich der zeitliche Aufwand so in Grenzen, dass die Arbeit auch im einstündigen Unterricht zügig voran ging. Das isolierte Material wurde dann allen Schülern zum Zweck der Manipulation zur Verfügung gestellt. Es entstanden unterschiedlichste Versionen, die mit dem Original konfrontiert und in Bezug auf ihre jeweilige Wirkung verglichen werden konnten. Die verschiedenen Raumschichten lassen sich auf diese Weise inhaltlich isolieren, gleichsam als Sinnschichten: 
  • Himmel, Licht, Erhabenes, Göttliches
  • entrückte, lebensfeindliche, versteinerte, eisige Höhen
  • aufsteigende Nebel, Kreislauf, Strömung, Bewegung
  • bezwingbare Gipfel, Erdung, Leben, Erleben.
In einem Leistungskurs bauten die Schüler das gleiche Bild als räumliches Modell einer Bildbühne nach. Auch dazu mussten sie auf der jeweiligen Ebene die Kulissen um den Teil ergänzen, der in der Vorlage verdeckt ist durch die jeweils vorgelagerte Bildzone. 
Als dritte Möglichkeit würde sich anbieten, die in Photoshop freigestellten Raumstaffeln in einem 3-D-Programm als Raummodell aufzubauen. Damit ließen sich ähnlich wie in dem Papiertheater schräge Ansichten aus jedem beliebigen Blickwinkel erzeugen.

Literatur, Quellen:
Portrait des Kabaretisten Ursus Wehrli
http://www.keinundaber.ch/site/autor/index.php?id=131

Homepage des Kabaretistenpaares Ursus und Nadeschkin
http://www.ursusnadeschkin.ch/index.php