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für die Mittelstufe des Gymnasiums von Uli Schuster 2005 |
Den Titel
dieser Seite könnte man als Metapher für manche Stunde im Kunstunterricht
sehen - nicht weil es da immer rund gehen sollte, sondern weil irgendwann
einmal zu klären ist, wie man Verhältnisse der Über- und
Unterschneidung, der Verflechtung und Wölbung zeichnerisch klarstellen
kann. Um es nicht bei der mechanischen Übung zu belassen interessiert
hier auch die Vielfalt von Beziehungen, die sich in so einer elementaren
Sache zur Kunst herstellen lassen. Schließlich, und nicht zuletzt,
geht es uns im Unterrichtsfach Kunst darum die Erkenntnispotentiale zu
nutzen, die in bildnerischen Prozessen stecken. Im speziellen Fall sind
das elementare Beziehungen von Figur und Grund, von Hell und Dunkel und
von Vorne und Hinten aber auch eine Vielzahl an Einblicken in deren historische
Anwendungen.
Die Abb. im Kopf der Seite zeigt im Ausschnitt einen Entwurf Richard Riemerschmids für eine Wanddekoration des Raums der Vereinigten Werkstätten auf der Weltausstellung in Paris 1900 |
Zwei
sich überkreuzende Linien liefern - zumindest auf den ersten Blick
- noch keine eindeutige Information drüber, welche von beiden die
andere überlagert. Das wäre auch bei zwei Fäden erst feststellbar,
wenn man ganz genau hinschaut. Die Sachlage wird auch nicht deutlicher,
wenn etwa zwei transparente Streifen von gewisser Breite übereinander
gelegt werden. Und das ist so, weil die Transparenz den unten liegenden
Streifen auf eine Ebene mit dem drüberliegenden Streifen holt. Erst
der verdeckende Ausschluss des überlagerten Objekts durch das überlagernde
Teil klärt die Verhältnisse. Für das Zeichnen bedeutet dies
die Notwendigkeit, beim Linienverlauf ganz klar zu machen, an welcher Stelle
die Verdeckung eintritt. Damit das Auge den verdeckt liegenden Teil beim
Wiedereintritt in die Sichtbarkeit überbrücken kann, muss im
verdeckten Teil jeder Richtungswechsel in der Lineatur unterbleiben. Wenn
man das Drunter und Drüber durch Helldunkel noch unterstützen
will, bietet sich ein Verlauf an, der weiter vorne liegende Oberflächen
als heller und weiter hinten liegende Oberflächen als
dunkler
markiert. Ein derartiges Heldunkel kennt die Kunstlehre seit über
500 Jahren unter dem Begriff relievo = Relief. Dem Begriff
und seiner Intention nach ist so ein Helldunkel eher einer taktilen Erfahrung
zu verdanken als einer visuellen. Deshalb kann beim Zeichnen auch weitgehend
auf ein visuell gegebenes Vorbild verzichtet werden.
Was Schüler oft nicht gleich glauben: Wenn die optische Überbrückung der Konturliniern nicht stimmt oder wenn der Verlauf nicht hart bis an die Grenze der Unterschneidung herangeführt wird (Beispiel rechts oben aus Handbuch der Zeichenkunst von José M. Parramón), dann klappt die zeichnerische Illusion nicht in der beabsichtigten Weise. |
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Damit die Sache einen gewissen Reiz bekommt kann man der Klasse ein gefaltetes Papierband zeigen und die Frage stellen, wie denn sowas möglichst einfach zu zeichnen wäre. Vermutlich kommt niemand auf die einfachste Lösung. Man könnte dann eine Zickzacklinie an die Tafel machen, sozusagen als eine von zwei notwendigen Konturen, und einen Schüler bitten, die zweite Kontur dazuzuzeichnen. Das ist ziemlich schwer. Einfacher geht die Sache mit zwei Kreiden oder Bleistiften in einer Hand gleichzeitig. Das will mit Sicherheit jeder ausprobieren. der erste Schritt ist getan. der zweite Schritt besteht darin, an den Wendepunkten die entstehenden Falze zu zeichnen. Die Sache wird dadurch räumlich noch nicht klarer. Das leistet jedoch der dritte Schritt, bei dem die nun verdeckt liegenden Umrisse ausradiert werden. Im vierten Schritt lasse ich jeweils von der Beuge ausgehend einen Verlauf zeichnen, der nun hinten und vorne klar in Erscheinung treten lässt. Mit Licht und Schatten hat das eher wenig zu tun, was man mit einer Fotografie gut beweisen kann, aber es liefert dem Auge oder dem Hirn, ganz wie man will) deutliche Informationen von Vorne - Hinten - Relationen. |
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Der Reiz lässt sich steigern, wenn das Band anstelle einer Zickzack-Bewegung zu einer Spirale verdreht wird. Die Methode des gleichzeitigen Zeichnens zweier Konturen wird beibehalten, auch die Schritte sind die gleichen wie oben, allerdings muss nun der Verlauf eine Rundung mitmachen. Für einen schönen Schnörkel muss man vielleicht ein wenig üben. Zu viele Überlagerungen und zu enge Windungen machen die Sache vielleicht schwierig. Wieder kann man dem "Schema F" ein Naturmodell gegenüberstellen, womit klar wird, dass die Zeichnung nicht unbedingt der Beobachtung von Licht und Schatten bedarf. Es zeigt sich im Gegenteil, dass eine gute Ausleuchtung so eines Objekts einigen Aufwand bedeutet, wenn man die Vielfalt der Phänomene um der Klarheit willen möglichst weitgehend reduzieren will. |
Bandnudeln
oder Makaroni - die Vorstellung von einem Teller voll weichgekochter
Nudeln bildet den Ausgsngspunkt für die nächste Übung. Was
macht den Unterschied im Helldunkel aus? Bei der Bandnudel folgt der Verlauf
allein der Richtung der Schlingen, und damit liegen die Strichlagen, die
ihn bilden, Vertikal zu den Umrissen, die die Nudel begrenzen. Die runde
Makaroni hingegen erscheint dadurch rund, dass eine zweite Verlaufrichtung
von der Mitte zu den Rändern hin erfolgt. Interessant wird das unsystematische
Geflecht, wenn das Drunter und Drüber vielfältig ineinander verschlungene
Stränge bildet und damit auch einen Rhythmus von Verdichtungen und
offeneren Zonen besitzt. Die Schülerarbeiten, die Überschneidungen
möglichst vermeiden, fallen sofort als weniger ergibig auf.
Ein besonderes Augenmerk muss nun wieder auf den Umrissen liegen. Üblicherweise beginnt das Zeichnen einer Figur, auch einer Nudel mit dem Umriss. Ein kluger und vorausschauender Zeichner wird diesen Umriss nicht mit dickem Strich ins Papier eingravieren, da die Konturlinie später in den Verlauf zu integrieren ist. Das führt dazu, dass sie an manchen Stellen dunkler sein wird, an anderen Stellen heller bleiben muss. Einmal bildet sie die dunkle Grenze eines Verlaufs, ein anderes Mal hebt sie sich heller gegen einen dunkleren Hintergrund ab. |
Der Schüler links arbeitet mit gleichstarken, dunklen Umrissen und wirkt dadurch dem Prinzip entgegen, das vorne mehr Helligkeit fordert als hinten. In der Wirkung verflacht die Zeichnung dadurch. Der Schüler verfolgt auch an den mit roten Pfeilen markierten Wendepunkten die Umrisslinien nicht in konsequenter Weise. Man muss ihm raten, im Sinn der Übungen 1 und 2 die Umrisse zuerst durchzuzeichnen und erst danach die verdeckt liegenden Bereiche auszuradieren. Bei der Schraffur kann er sich nicht für vorne und hinten entscheiden und verdunkelt an vielen Stellen beides gleich stark. Der Schüler rechts kommt sowohl mit den Umrissen als auch mit dem Helldunkel sehr gut zurecht. Er hätte durch mehr Überlagerungen noch deutlichere Knotenpunkte setzen können, findet aber in seinen Schlingen einen sehr eleganten und melodiösen Linienverlauf. |
Das links nebenstehende Studienblatt in der Größe von 41x56 cm hat der klassizistische Architekt Friedrich von Gärtner um 1815 angefertigt. Die grau und braun aquarellierte Federzeichnung ist eine Studie nach einem Detail des Septimius-Severus-Bogens (Abb. entnommen dem Band "Architekturzeichnung" von Nerdinger/Zimmermann 1986). Vor 200 Jahren waren solche Darstellungen als Muster im Gebrauch, nach denen Generationen von Architekten an den Akademien im Entwurfszeichen geschult wurden. Ich glaube, dass es nicht verkehrt sein kann, wenn man heute im Kunstunterricht vergleichbare Übungen mit reduziertem Anspruch in einer Mittelstufenklasse anbietet, und habe dazu ein Arbeitsblatt konzipiert, das sich mit einem guten Kopierer auf einen leichten Zeichenkarton kopieren lässt. Es zeigt drei unterschiedliche Friese und gleichzeitig ein Muster für eine lavierende Ton-in-Ton-Malerei. Wer den Schwierigkeitsgrad anheben will, der kann sich aus der Werkstatt eines Stuckierers oder einer Rahmenwerkstatt Reste von Zierleisten besorgen und nach dreidimensionalen Vorbildern erst einmal Umrisszeichnungen anfertigen lassen. Bei schönem Wetter und ausreichend Zeit kann man z.B. in München einen kleinen Gang in die Stadt unternehmen, wo sich an Hausfassaden aus dem 19. Jh., an Bodenmosaiken etc. solche Details studieren oder fotografieren lassen, die dann im Unterricht auf ihre antiken Vorbilder zurückgeführt und benannt werden können. |
Ist der Blick einmal geschärft für derartige Formen, kommen Schüler auch von selbst darauf, dass Vergleichbares sich findet in grafischen Vignetten von Büchern oder Noten, in Wappenreliefs, Kartuschen und anderen Reliefplatten, oder an Broschen, die die Oma aus der Jugendstilzeit an die Mutter vererbt hat. |
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Den Klassiker unter den "Drunter und Drüber" Darstellungen hat
nach Pevsners Meinung ("Die Geschichte der Kunstakademien")
Leonardo da Vinci (Bild oben links) geliefert, was zu einem weiteren, interessanten
Kapitel führt, nämlich den Knoten und zu dem breiten Feld der
Flecht- und Webkunst. Albrecht Dürer hat sich 1507 zu sechs Holzschnitten
anregen lassen (einer davon im Bild oben rechts), in denen das Vorbild
Leonardos erkennbar bleibt. Wer sich damit noch nie auseinandergesetzt
hat, wird vielleicht erstaunt sein, dass man zum Thema Knoten ganze Bücher
füllen kann. Mit ein wenig Nachdenken kommt man schon drauf, dass
Stricken, Häkeln, Weben, Knüpfen, Klöppeln eine ganze Summe
von Kulturtechniken umschließt, an der auch die Bildende Kunst nicht
vorbeikam.
Flechtwerk, Knoten und Knäuel geben in der Ornamentik einen geradezu araischen Bildsinn wieder: "Knoten und Knäuel haben im Glauben vieler archaischer Kulturen die Kraft, Dämonen zu bezwingen, indem sie sie verwirren oder regelrecht 'binden'. Deshalb scheuen die unheimlichen Mächte vor allem Verschlungenen und Verflochtenen zurück. Das Liniengewirr wird zum Apotropaion." ('Macht des Bildes - Bild der Macht', Lutz Lippold 1993, S.138) Umgekehrt ist derjenige, der den Knoten schnürt, zeichnet oder meißelt und damit beherrscht, im Besitz einer magischen Kraft, die das verwirrende Rätsel löst und damit beherrscht. Alexander der Große löst den gordischen Knoten auf seine Weise - er durchtrennt ihn mit dem Schwert. |
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Als Vorübung für das Zeichnen wäre das Knüpfen eines komplexeren Knotens oder das Flechten eines Zopfs schon eine ganz gute Voraussetzung. Um die Gehirne der Schüler zum Knacken zu bringen, lasse ich schon mal gerne in einer 9. Jahrgangsstufe Zöpfe rein zeichnerisch flechten, was vielleicht schwerer ist, als wenn man es später mit den Schuhbändern versucht. |
So eine Zeichnung gelingt mir nicht im ersten Anlauf. Ich beginne mit drei Strängen, die ich in einigem Abstand nebeneinander parallel zeichne. Dann lege ich den linken Strang über den mittleren, den ich gleichzeitig nach links unter den ersten Strang in einer Biegung zeichne. Nachdem der erste Strang den zweiten überlagert hat, muss er den dritten unterschneiden. Dazu muss der dritte Strang in einer Biegung über den ersten geführt werden. Nachdem der dritte Strang den ersten überlagert, muss er den zweiten nun unterschneiden. Jeder Strang darf abwechselnd einmal drunter und einmal drüber gelegt werden. |
Damit lassen sich nun verschiedene Aufgaben entwickeln, die alle das Prinzip des "Drunter und Drüber" zum Ausgangspunkt haben, aber das dazu notwendige Helldunkel auf unterschiedlichen technischen Wegen erreichen. Das erste Beispiel zeigt eine Bleistiftzeichnung, die auf getöntem Papier gemacht ist. Ein glatter, hochwertiger Zeichenkarton wurde mit stark verdünnter Ölfarbe (Sepia) getönt. Eine Woche lang lässt sich der braune Ton mit dem Radiergummi gut aufhellen, was man an den Rändern der Zeichnung noch sieht. Mit einem weichen Bleistift (8B) ist dann die Schattierung sehr dicht schraffiert. Der Zopf ist mit Kugelschreiber gezeichnet. Die Lineatur folgt dabei dem Strang wie es geflochtene Haare tun würden. Die nächste Schlinge entstand nach einer Besprechung kunstvoller Knoten und ist eine schlichte Bleistiftzeichnung, die ein gedrehtes Seil simuliert. Die Arbeit ganz rechts ist in Wasserfarbe ausgeführt und nachträglich mit einer parallelen Bleistiftschraffur überarbeitet. |
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Wenn man schon das hier thematisierte Helldunkel als plastische Erfahrung bezeichnet liegt es auch nahe, derartige zeichnerische Übungen mit plastischen Übungen zu verbinden. Neben dem leicht formbaren Material Ton bietet sich Gips an, den man selber in Platten gießen kann oder im Baumarkt oder direkt an der Baustelle aus dem Abfallkontainer holen kann. Gipskarton bietet sich in besonderer Weise an, da er eine ebene Oberfläche besitzt und durch die aufgeleimte Papierschicht stabil und einigermaßen staubfrei bleibt. Den Karton feuchtet man mit einem Schwamm leicht an und kann ihn nach dem Aufweichen der Pappe auf einer Seite der Platte wegrubbeln. Mit einfachen Werkzeugen, z.B. Küchenmessern, kann man die Platte dann gut bearbeiten. |
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Literatur:
Das große Knoten Handbuch, Maria Constantino, München 2002 |