Mein Portrait als Ikone
Mittelalterliche Maltechnik und stilistische Prinzipien der Ikonenmalerei aufs eigene Portrait angewendet
eine Unterrichtseinheit für die 9. Jahrgangssstufe des Gymnasiums

von Florian Süß, Seminar 2005-07

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Am Anfang der Unterrichtseinheit steht eine Besprechung von einigen mittelalterlichen Ikonen der östlich-orthodoxen Kirchen. Wahlweise kann aufgrund der Vielschichtigkeit der Thematik (Bild des Menschen, Bild des Göttlichen, Bild des Göttlichen im Menschen…..) auch ein wenig weiter ausgeholt werden und in die Einführung z.B. die Portraits römischer Kaisermünzen, die Fayumportraits… integriert werden, da von hier aus auch plausible Erklärungswege mit den Schülern zu beschreiten sind. Einen für die Mittelstufe interessanten Schwerpunkt kann man in der Besprechung auch auf den sog. Bilderstreit des 9./10. Jahrhunderts und dem Streit der Ikonodulen und Ikonoklasten und den steinigen Weg zu Bildern legen.
Nach meinen Erfahrungen mit bisher vier 9.Klassen begegnen die Schüler diesem etwas sperrigen Thema zuerst stets mit Ablehnung und Unwillen, doch nach Beendigung gibt es kaum einen Schüler, der sein Bild nicht mit nach Hause nehmen möchte.

Vorspann
Ikonen sind religiöse Bilder. Im christlichen Bildgebrauch stand zunächst im Vordergrund die Erinnerung an heilige Gestalten und heiliges Geschehen. Dazu kam etwa im kirchlichen Raum die Funktion der Unterrichtung in Begleitung und Ergänzung zur Lesung aus der hl. Schrift und zur Predigt. Das Bild repräsentiert insofern den jeweiligen Heiligen und zieht damit eine gewisse Notwendigkeit der Unterscheidung nach sich. Aus bildhaften Merkmalen muß die jeweils gemeinte Person des Heiligen ablesbar sein.
Dieser Gedanke an die Repräsentation einer Person durch ein Bild steht in Konkurrenz zu einem vielleicht älteren Bildverständnis, das mit der Repräsentation eine magische Kraft verbindet und somit den Glauben, dass ein Bild eine Art Inkarnation (Verlebendigung) einer Gottheit oder eines geistigen Wesens ist. Dieses Bildverständnis wird in vielen Religionen als Fetischismus, Totemismus oder Götzenglauben geschmäht, dessen Ablehnung zu einem Bilderverbot führt.
Zum Fetischcharakter von Bildern und Dingen kann man den Schülern einige Fragen stellen, zum Beispiel:
  • Warum ist ein Bild eines Filmschauspielers mehr "wert", wenn er seine Unterschrift darauf gesetzt hat?
  • Warum gibt es Leute, die viel Geld ausgeben für ein Kleidungsstück das eine verehrte Persönlichkeit getragen hat, wenn man für wenig Geld das gleiche Stück im Kaufhauf neu erwerben kann?
  • Warum nehmen Kranke die beschwerliche Reise nach Lourdes oder an andere Orte auf sich?
  • Warum kauft man sich für teures Geld eine Eintrittskarte zu einem zu einem Konzert der Rolling Stones, wo man Mick Jagger aus 100 Metern Entfernung mehr erahnen als sehen kann, wenn die CD oder DVD  mit viel besserem Sound und gutem Bild wesentlich billiger wäre?
  • Warum kann der Staat das Zeigen oder Tragen religiöser oder politischer Symbole verbieten? (Kopftuch, Hakenkreuz...)
  • Warum wollen sich manche Leute nicht fotografieren lassen?
  • Was treibt Leute an, die im Museum Bilder zerstören oder in der Öffentlichkeit Fahnen verbrennen, politische Plakate beschädigen (z.B. Augen auskratzen)?

Bildbetrachtung
Als formale Gesichtspunkte arbeiten wir bei der Betrachtung mehrerer Beispiele folgende Prinzipien heraus:
  • Die Christusköpfe sind  gelegentlich ohne Körper dargestellt. Wir bevorzugen eine Darstellung des Kopfs mit Hals und Ansatz der Schulter. Das entspricht einem Ausschnitt, den wir etwa auch von Passbildern kennen.
  • Die Bilder zeichnen sich aus durch klare Frontalität des Gesichts und eine damit verbundene Achsensymmetrie, die zwei nahezu spiegelgleiche Gesichtshälften darstellt.
  • Die Gesichter lassen im Ausdruck keine innere Regung erkennen und wirken dadurch ernst und nach innen gekehrt. Das kann noch verstärkt werden durch einen Blick, den ein Betrachter kaum fixieren kann, etwa den der mittleren Darstellung. die einen mit einem Auge anschaut, aber mit dem anderen an einem vorbei und damit sozusagen durch einen hindurch schaut.
  • Die Kopf- und Gesichtsform sowie die Formen von Augen, Mund und Nase, aber auch der Haare besitzen einen streng geometrischen Charakter, sehen aus wie konstruiert. Die achsialen Bezüge sind betont durch das Kreuz, das in den Heiligenschein einbeschrieben ist und das mit der Augenachse und der Achse Nasa/Mund des Gesichts korrespondiert.
  • Die hell gehaltene Gesichtsfläche erscheint wie gerahmt durch Haare und Bart. Diese Rahmung wird noch einmal verstärkt durch den Heiligenschein, der dem Kopf umschrieben ist
Mitte: Nowgoroder Ikone, 12. Jh. Moskau

1. Exkurs
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Mitte des 13. Jh. sammelte der Baumeister Villard de Honnecourt in seinem Bauhüttenbuch diverse geometrische Schemata als Grundlage für Köpfe von Königen und Heiligen. Triangulatur, Quadratur und Zirkulatur erscheinen als die geometrischen Grundprinzipien solcher Formkonzepte. Man könnte zusammen mit den Schülern für eine gegebne Abbildung ein derartiges Schema suchen und entwickeln lassen.
Ikonen entstanden nur in Klöstern und ihre Herstellung war im ganzen Mittelalter ein erheblicher Wirtschaftsfaktor für die klösterlichen Gemeinschaften, die dazu eigene Werkstätten unterhielten. Eine Initiale aus einer Handschrift des 12. Jh. zeigt, wie zwei Klosterbrüder einen Baumstamm spalten. Die gesamte Holzbearbeitung vom Fällen des Stamms bis zum Glätten des Bretts erfolgte mit unterschiedlichen Beilen. Tafelmacher war über Jahrhunderte hinweg ein eigener Schreinerberuf. Sägen zum Herstellen von Brettern wurden erst ab dem 14. Jh. verwendet. Ikonen besitzen in der Regel kleine Formate und mussten dann auch nicht aus mehreren Brettern zusammengeleimt werden. Manchmal hat man das Brett mit einem Überzug aus Leinwand oder Tierhaut (Pergament) versehen. Kaseinleim oder Haut- bzw. Knochenleim waren die üblichen Klebstoffe. 
Die Grundierung besteht aus mehreren Schichten. Die unterste Schicht ist Leim. Darauf folgt in einer oder mehreren Lagen eine Grundiermasse aus Leim und Füllstoffen (Gips und Kreide. Den Abschluss bildete die "Lösche", eine Schicht Bindemittel, die auch Farbstoff enthalten konnte und dann "Imprimitur" genannt wird. Die Vorzeichnung legte man unter die Lösche oder auf die Imprimitur. Die Hozplatte und alle Schichten wurden jeweils sorgfältig getrocknet. Beim Ablagern der Platte hat das Jahre gedauert.
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Herrichten des Malgrunds und Vorzeichnung
Die Schüler erhalten in DIN A5 Format zugeschnittene dicke Pappen (Vorzugsweise Rückseiten der Malblocks), welche die Holztafeln ersetzen und grundieren diese mit weißer Dispersion (Wandfarbe).  Wenn man die Farbe mit der Rolle aufträgt erreicht man eine gleichmäßigere Oberfläche als die meisten Schüler das mit dem Pinsel könnten. Wenn aber ein Pinsel verwendet werden sollte, dann ein sehr breiter, den die Schüler nicht in ihrem Sortiment haben. Will man ein Wölben der Pappe vermeiden, dann sollte man die Farbe auf beiden Seiten der Pappe auftragen. Vielleicht gibt es einzelne Schüler, die doch eine Hartfaserplatte oder Sperrholz benützen wollen. Für diesen Fall erübrigt sich ein beidseitiger Farbauftrag. Die Farbe muss in jedem Fall so eingestellt werden, dass sie glatt verläuft.
 

Nach dem Trocknen der Grundierung wird eine Vorzeichnung angelegt. Die Schüler erhalten Spiegel und sollen sich mit ernstem bzw. vertieft wirkendem Gesichtsausdruck in knappen Konturen zeichnen. Proportionen des Kopfes bzw. des Gesichtes sollen beachtet werden, Schattierungen sind noch nicht nötig. Wenn man vor dem Zeichnen über die mittelalterlichen Formkonzepte gesprochen hat, dann könnte der eigentlichen Portraitzeichnung auch ein geometrisches Formkonzept vorausgehen ( mindestens ein Markieren der Bildmitte).


2. Exkurs

Gutes Handwerk benötigt gutes Werkzeug. Das glauben Schüler oft nicht. Die Pinsel blieben nicht im Wasserbecher stehen bis die Quasten krumm und gespreizt waren. Breite und spitze Pinsel erfüllen verschiedene Zwecke.

Zum Malen reichten dem Ikonenmaler wenige Farben, die meist nach einem Drei-Ton-System abgemischt wurden.
1. Ton = reine Farbe
3. Ton = reine Farbe + Weiß
2. Ton = Mischung aus Ton 1 und Ton 3

Die byzantinischen Ikonenmaler verwendeten angeblich eine Wachstempera. Erst seit dem 13. Jh. wurde diese verdrängt durch die Eitempera.

Ikonenmaler haben ihre Farben in Schichten nacheinander aufgetragen. In der Regel malte man vom Dunklen ins Helle. Für den Aufbau des Inkarnats (Hautton) galt die Regel: Erste Schicht war eine gleichmäßige, grünliche Untermalung (Verdeterra). darüber wurde in bräunlichen Tönen (Verdaccio) die Schatten modelliert. Erst zuletzt folgte in einer lasierend aufgetragenen Schicht der Rotton.


Die Malerei
Es macht Sinn, den Schülern etwas über die nach sehr strengen Regeln ablaufende Ikonenmalerei zu erklären aber in einem einstündigen Unterricht bestehen realistischerweise keine vergleichbaren Möglichkeiten der Umsetzung.
Wir einigen uns aber auf ein Procedere
  • Wir arbeiten mit den Farben des Malkastens, aber immer mit selber angemischten Töne. 
  • Der Hintergrund soll etwas in die Jahre gekommenes Gold simulieren und wird in einem vergleichbaren Gelbton zuerst angelegt. 
  • Die Farbe des Gesichtes soll dem der Ikonenbildnisse entsprechen und kann wahlweise bräunlich oder grünlich gewählt werden. 
  • Die Schattierungen werden in mehreren Schritten als Übermalung angelegt.
Nach dem Festlegen der Regeln beginnen die Schüler mit dem Farbauftrag.
Als übergeordnetes Ziel dieser Aufgabe soll gelten, dass die Schüler möglichst viel „Wesentlichkeit“ in ihre „Ikonen“ bringen sollen. 

Schülerarbeiten
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Literatur
Zur Vertiefung der Thematik empfiehlt sich Belting, "Bild und Kult", München. 1993
Lippold, "Macht des Bildes – Bilder der Macht", Leipzig 1993
Zibawi "Die Ikone", Patmos 2003
Zur Maltechnik z.B. "BuMonts Handbuch der Gemäldekunde", Köln 2003