Materialsammlung und Unterrichtssequenz zum Lernbereich  12.2 Kommunikation

2. Welche Rollen besetzen Künstler und Publikum im Kunstsystem des 19. und 20. Jahrhunderts?
Das Verhältnis von Künstlern zu ihrem Publikum ist im 19. und 20. Jh geprägt von starken Spannungen, die bis zu offen ausgtragenen Feindseligkeiten reichen. 

von Uli Schuster 2010

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Der neue Lehrplan für die Oberstufe des G8 in Bayern sieht in 12.2 eine Auseinandersetzung mit dem Themenfeld "Kommunikation" vor. Die Schüler sollen alltagsästhetische Phänomene und Kunstwerke als Teile komplexer Kommunikationsprozesse in der Gesellschaft begreifen. Dazu lernen sie unterschiedliche Kommunikationsstrategien vor allem von Künstlern  des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Dabei kommen kunstgeschichtliche Positionen der klassischen Moderne und des 20./21. Jahrhunderts zur Sprache, die einen Eindruck vermitteln von Affirmation bis Kritik, die geprägt sind von Provokation, Überwältigung oder/und poetischer Verklärung, denen es um Erweiterung bis Entgrenzung des Kunstbegriffs geht und um Autonomie der Gestaltung bis hin zur Ausschaltung von Kritik.

Die nachstehende Unterrichtssequenz möchte in drei abgeschlossenen Einheiten Beispiele geben, die in diesen Rahmen passen. Neben den uns zur Verfügung stehenden Schulbüchern befragen wir auch spezifischere Quellen zum jeweiligen Autor oder Problemfeld. Die Unterrichtssequenz ist auf drei getrennte Adressen verteilt.

    1. Wie wird ein gewöhnliches Ding zur Kunst? Überlegungen zu Ready-mades von Marcel Duchamp führen zur Einsicht in strategische Positionen von Künstlern. Dabei wird sichtbar, wie die Kunstausstellung, die Kunstkritik, das Museum zu Instrumenten der Kunstproduktion werden können und eine Definitionshoheit erlangen über das, was als Kunst kommuniziert wird.
    2. Welche Rollen besetzen Künstler und Publikum im Kunstsystem des 19. und 20. Jahrhunderts? Mit der französischen Revolution gerät in ganz Europa ein traditionelles ökonomisches Bündnis zwischen Kunst und feudalen Auftraggebern (Kirche und Adel) ins Wanken.  Königliche und fürstliche Sammlungen sowie Bestände aus geplünderten Klöstern/Kirchen wandeln sich in öffentliche Museen mit einem neuen, bürgerlichen Publikum.  Die künstlerische Produktion muß in neuem Maßstab über einen freien Kunstmarkt nach neuen Vertriebswegen und bürgerlichen Käuferschichten suchen. Das Verhältnis der Künstler zu ihrem Publikum ist im 19. und 20. Jh geprägt von starken Spannungen, die bis zu offen ausgetragenen Feindseligkeiten reichen. Dabei geht es nicht immer nur um die Kunst selbst, sondern auch um den gesellschaftlichen Rang, den Künstler beanspruchen, um Differenzen im Lebensstil, um ein Bedürfnis nach Erbauung oder Unterhaltung, das vom Publikum eingefordert wird oder auch um Belehrungen, die man sich erhofft oder verbittet. Dabei erscheint weder die Künstlerschaft als ein homogenes Gebilde noch lässt sich das Publikum oder die Kritik über einen Kamm scheren.
    3. Wie deuten Kunstgeschichte und Künstler die Grabenkämpfe der 'Schulen' im 20. Jh? Die europäische Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts lässt sich nicht mehr als eine Geschlossene Epoche beschreiben. Eine nahezu beliebig erweiterbare Reihe von Ismen, Schulen, Gruppierungen und schwer einzuordnenden Individuen lösen sich in immer kürzeren Zeitspannen ab und verlaufen teilweise auch zeitlich parallel zueinander. Sie bekennen sich zu unterschiedlichen Zielen, grenzen sich voneinander ab, konkurrieren um den Einzug in Museen und Sammlungen und sprechen sich nicht selten auch gegenseitig Relevanz, Aktualität, Bedeutung ab. Insgesamt bietet sich fast ein Bild wie bei politischen Parteien: Man vertritt eine gemeinsame Linie nach außen, bedient und pflegt ein begrenztes Publikum mit besonderer Rücksicht auf Sammler und wohlgesinnte Kommentatoren. Solche Bündnisse auf Zeit überdauern selten einen sich anbahnenden kommerziellen Erfolg und werden vom einzelnen Künstler schnell einer eigenen Profilierung geopfert.

Welche Rollen besetzen Künstler und Publikum im Kunstsystem des 19. und 20. Jahrhunderts?
A) Bohéme und Philister
Im 19. Jh bilden sich zunächst am Rande einiger europäischen Großstädte, später auch auf dem Lande Dörfer heraus in denen sich viele Künstler ansiedeln und damit ein Milieu entsteht, das stark von einer Lebensweise dieser Einwohnerschaft geprägt wird, das in mancher Beziehung abweicht von bürgerlichen Vorstellungen: Nahe Paris die Gemeinde Montmartre, in München das  Dorf Schwabing, um nur zwei Beispiele zu nennen,  oder als ländliche Künstlerkolonien Dachau bei München oder Barbizon im Wald von Fontainbleau vor den Toren von Paris.

Mit der französischen Revolution wird eine schon länger exisiterende Kluft deutlich sichtbar zwischen einer Normen setzenden akademischen Staatskunst und einem bürgerlichen Künstlerprekariat, das nach Auflösung der Zunftordnungen vor allem in den großstädtischen Zentren um einen Markt für seine Produkte kämpfen muss und dabei Gegenbilder zum künstlerischen Establishment entwickelt. 
Eines dieser Gegenbilder zum akademischen Hof- und Staatskünstler beschreibt der Begriff der Bohéme, der zum Inbegriff für das künstlerisch-subkulturelle Milieu in Paris um die Mitte des 19. Jh wurde. Henri Murger (1822-1861) studierte Malerei und verdiente seinen Lebensunterhalt als Journalist und Schriftsteller in Paris. In "Scénes de la vie de bohème" beschreibt er als Erster das Leben der Bohéme, das er aus eigener Erfahrung kannte. Die Bohéme erscheint dabei als ein stark romantisiertes, soziales Gegenmilieu zum sesshaften, spießigen Bürger. Zwischen diesen Fronten entwickelt sich im Verlauf des 19. Jh ein erhebliches Konfliktpotential. Im Extrem schafft sich die künstlerische Bohém das Gegenbild des bürgerlichen Philisters. Auch in diesem Gegenbild zum Künstler werden Eigenschaften sichtbar, die ein Künstlerprofil negativ umreißen. Arnold Hauser unterscheidet drei Phasen, "die Boheme der romantischen, der naturalistischen und der impressionistischen Zeit" (Hauser, "Sozialgeschichte der Kunst und Literatur", S.953)
"Die Boheme bedeutete ursprünglich nichts als eine Demonstration gegen die bürgerliche Lebensart. Sie bestand aus jungen Künstlern und Studenten, die größtenteils die Söhne wohlhabender Eltern waren und bei denen die Opposition gegen die herrschende Gesellschaft zumeist nur jugendlicher Übermut und Widerspruchsgeist war."..."Die Boheme der nächsten Generation, die des militanten Naturalismus mit dem Bierkeller als Hauptquartier, der u.a. Champfleury, Courbet, Nadar und Murger angehörten, war dagegen eine wirkliche Boheme, das heißt ein Künstlerproletariat, das aus Leuten bestand, deren Existenz vollkommen ungesichert war, die außerhalb der Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft standen und bei deren Kampf gegen das Bürgertum es sich um kein übermütiges Spiel, sondern um eine bittere Norwendigkeit handelte."...."..das wirkliche Leben der Boheme ist im Zeitalter des Naturalismus noch eine Idylle im Verhältnis zur Existenz der sich von der bürgerlichen Gesellschaft ausschließenden Dichter und Künstler der nächsten Generation,  - der Rimbaud, Verlaine, Tristan Corbiére und Lautréamont. Die Boheme ist zu einer Gesellschaft von Vagabunden und Ausgestoßenen geworden, zu einer Gruppe von Verzweifelten, die sich nicht nur von der bürgerlichen Gesellschaft, sondern von der ganzen europäischen Zivilisation lossagen. Baudelaire, Verlaine und Toulouse-Lautrec sind schwere Alkoholiker, Rimbaud, Gauguin und van Gogh Landstreicher und umherirrende Weltenbummler, Verlaine und Rimbaud sterben im Spital, van Gogh und Toulouse-Lautrec kommen ins Irrenhaus, und die meisten von ihnen verbringen ihr Leben in Kaffees, Variétés, Bordellen, Krankenhäusern oder auf der Straße. Sie zerstören in sich alles, was der Gesellschaft nützlich sein könnte, sie wüten gegen alles was dem Leben Bestand und Dauer verleiht, und sie wüten gegen sich selbst, als ob sie in ihrem eigenen Wesen alles vertilgen wollten, was sie mit anderen gemein haben."          ( A. Hauser, "Sozialgeschichte der Kunst und Literatur", S.954f)
Hauser beschreibt hier eine schrittweise wachsende Entfremdung vor allem der jungen Generationen von bürgerlichen Künstlern von ihrem weitestgehend großstädtischen Publikum. In Wirklichkeit spaltet sich im Zug dieser Entwicklung vor allem während des 2. Kaiserreichs jedoch auch die Kunst selbst in eine akademisch orientierte, idealistische Staats- und Salonkunst und eine sich dagegen profilierende Autonomiebewegung (in Deutschland und Österreich zum Ende des Jahrhunderts Sezessionen), die aus romantischen, realistischen, naturalistischen und symbolistischen Strömungen jeweils in neuen Schüben Aufbrüche zu einem neuen Kunstverständnis unternimmt. Letztlich erwächst aus dieser Entfremdung die Vorstellung, dass Künstler kein bürgerlicher Beruf ist, sondern eine Auffassung vom Leben, eine lockere, alternative Lebensweise und "Haltung", wie das heute vielfach noch an den Akademien gelehrt wird.
Aus dem Text von Arnold Hauser lässt sich eine Liste von lebensbeschreibenden Aussagen isolieren, die den Künstler als Bohémien charakterisieren:
 
Die Künstler als Bohémiens
  • sind oft Söhne wohlhabender Eltern, die in Opposition gegen die Lebensweise ihrer Eltern und die Normen der herrschenden Gesellschaft stehen
  • sind Leute, deren Existenz vollkommen ungesichert ist
  • kämpfen aus bitterer Notwendigkeit gegen das Bürgertum
  • schließen sich von der bürgerlichen Gesellschaft aus
  • sind eine Gesellschaft von Vagabunden und Ausgestoßenen
  • sind eine Gruppe von Verzweifelten, die sich nicht nur von der bürgerlichen Gesellschaft, sondern von der ganzen europäischen Zivilisation lossagen
  • unter ihnen gibt es schwere Alkoholiker, Landstreicher und umherirrende Weltenbummler
  • die meisten von ihnen verbringen ihr Leben in Kaffees, Variétés, Bordellen, Krankenhäusern oder auf der Straße und sterben im Irren- oder Armenhaus 
  • sie zerstören in sich alles, was der Gesellschaft nützlich sein könnte
  • sie wüten gegen alles was dem Leben Bestand und Dauer verleiht
Mögliche Aufgabe:
Auf welche Künstlerbiografien des 19. Jh passen welche Charakterisierungen als Bohémien? Welche Biografien passen nicht in dieses Schema?
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Anweisung zum ersten Aufzug von "La Boheme", der Oper von Puccini:
"Am Weihnachtsabend in einer Mansarde in Paris. Die armen Künstler Rodolfo und Marcello stehen frierend vor dem kalten Ofen. Womit sollen sie heizen? Sie haben kein Brennholz mehr und wohl auch nichts zu essen. Marcello will den einzigen Stuhl zerschlagen und verfeuern. Doch Rodolfo, der Poet, hält ihn ab. Statt dessen opfert er eines seiner Manuskripte. Das Kunstwerk ist schnell verbrannt. Der Ofen wieder kalt..."
Frank Eugene bedient in seiner Fotografie unsere Vorstellung vom Künstler etwa in Entsprechung zum "Armen Poeten" von Spitzweg. Natürlich wohnt der Maler unterm Dach, sozusagen abgehoben von den Niederungen der bürgerlichen Existenz.
Bei dem aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Renoir ist es die Sehnsucht nach dem „kleinen Glück“, die ihn zu Bildern einer heilen Welt treibt, selbst wenn er kaum etwas zu Essen hat und seine Bilder beim Farbenhändler gegen neues Material verpfänden muß. Das "Frühstück der Ruderer" von Renoir vermittelt uns eine Situation auf einer engen Terrasse, die ins Uferschilf der Seine gebaut ist, vielleicht im Anhang an ein Bootshaus. Allein die Enge auf der Terrasse und der Charakter des Clubhauses schafft eine intime, kommunikative Atmosphäre, in der die Individuen stark in Erscheinung treten. Zwei Wirtsleute, ein Kunstkritiker, ein Adeliger, ein Bankier und Kunstsammler, ein Ingenieur, Maler und Kunstsammler, zwei Schauspielerinnen, ein leichtes Mädchen und Malermodell, eine Näherin und Geliebte des Malers bilden diese bunte bürgerliche Gesellschaft, ein von leiblichen Genüssen, unbeschwerter Entspannung, Kommunikation und leichtem Flirt aufgeladenes Milieu. Jeder kann mit Jedem. Die Gesellschaft muss nicht ausschweifend sein, kann sich aber jederzeit auch in anderem Rahmen wiederfinden. Ein mögliches Erscheinungsbild von Bohéme oder Spießbürgerliches Sonntagsvergnügen?
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Mögliche Aufgabe Bildvergleich:
Wer ist wer in Renoirs Bild? Vergleiche Renoirs "Frühstück der Ruderer" von 1881 mit Seurats "Ein Sonntagnachmittag an der Grande Jatte" von 1886 insbesondere auch im Hinblick auf die dargestellten sozialen Milieus.

Das Gegenmilieu zur Bohéme bildet die Bourgeoisie, die - soweit Kunstpublikum - seit der Romantik von den Künstlern mit dem Schimpfnamen Philister belegt wird. Das beginnt schon mit Herrn von Goethe und Herrn von Schiller, steigert sich in Frankreich mit Flaubert und kehrt nach Deutschland zurück mit Nietzsche um nur einige zu nennen. Als Zeitzeuge soll hier der Dichter Novalis, ,alias Herr von Hardenberg (1772-1801) die Anklage vertreten:
"Philister leben nur ein Alltagsleben. Poesie mischen sie nur zur Notdurft unter, weil sie nun mal an eine gewisse Unterbrechung ihres täglichen Ablaufs gewöhnt sind. In der Regel erfolgt diese Unterbrechung alle sieben Tage, und könnte ein poetisches Septanfieber heißen, Sonntags ruht die Arbeit, sie leben ein bißchen besser als gewöhnlich und dieser Sonntagsrausch erledigt sich mit einem etwas tiefern Schlafe als sonst; daher auch Montags allein noch einen raschern Gang hat...Den höchsten Grad seines poetischen Daseyns erreicht der Philister bey einer Reise, Hochzeit, Kindtaufe, und in der Kirche. Hier werden seine kühnsten Wünsche befriedigt und oft übertroffen... Grober Eigennutz ist das nothwendige Resultat armseliger Beschränktheit. Die gegenwärtige Sensazion ist die lebhafteste, die höchste des Jämmerlings. Über diese kennt er nichts höheres. Kein Wunder, daß der durch die äußern Verhältnisse par force dressirte Verstand nur der listige Sklav eines solchen stumpfen Herrn ist, und nur für dessen Lüste sinnt und sorgt." (Novalis aus 'Blüthenstaub'-1798 - zitiert in Christian Demand, "Die Beschämung der Philister", S.100)
In Paris hießen die Hauptdarsteller dieser Publikumsbeschimpfung Heine, Zola, Flaubert, Gautier, Maupassant. "Mit dem Furor von Bußpredigern geißelten sie das bürgerliche Publikum als einen pöbelhaften Haufen cerebral anspruchsloser Herdentiere, die nicht in ihrer Individualität, sondern ausschließlich als Typus von Interesse waren. Ein Mensch von wahrem Geistesadel begegnete ihrer armseligen Beschränktheit am besten mit gebührender Verachtung. Da half es auch nicht, dass das Bürgertum in Scharen das Theater, die Oper, den Salon besuchte. Gerade seine Kulturbeflissenheit machte es verdächtig. Man warf ihm vor <sein Anspruch auf Kultiviertheit sei lächerlich und ihm fehle der Geschmack. Die Musikliebhaber und Kunstsammler der Mittelschicht wurde karikiert, wie sie sich in Kitsch suhlten, wie sie Kunst zu seichter Unterhaltung degradierten, wie sie ihre Erwerbungen mit der Ungehobeltheit sozialer Aufsteiger zur Schau stellten.> In Daumiers Karikaturen fand sich der <rohe, windige, lüsterne, habgierige, schläfrige, feiste, beschränkte, grausame Bourgeoise> schließlich als <coincidentia oppositorum alles Lasterhaften und Häßlichen> an den Pranger gestellt."(zit  aus Christian Demand, "Die Beschämung der Philister", S.101, Demand zitiert hier Gay und Oehler)
Aus diesen Anklagen von Novalis und den Zitaten bei Demand lässt sich eine Liste von Charakterisierungen des Bürgers im 19. Jh. als Kunstpublikum erstellen:
Die Bürger als Philister
  • folgen in ihrem Lebensweg einem vorgegebenen Muster (z.B.: Ausbildung, Beruf, Ehe, Haus, Kinder, berufliche Karriere, verdienter Lebensabend, Sterben im Bett im Kreis der Lieben)
  • gehen einer geregelten Arbeit nach und blicken mit Verachtung auf Spätaufsteher und Herumtreiber
  • ihr Arbeitstag folgt einem gleichförmigen Stundenplan, 'Kultur' steht bestenfalls an Sonntagen auf der Agenda
  • ihr geistiger Horizont ist aufs gerade Gegenwärtige beschränkt und auf Eigennutz fixiert, weshalb auch Kunst stets auf ihren Nutzen festgelegt werden soll
  • blicken mit Misstrauen, Empörung aber auch Sensationslust auf Abenteuerer, Globetrotter, Leichtlebige Existenzen
  • halten gewisse Tugenden für unverzichtbar (Pünktlichkeit, Vetragstreue, Verlässlichkeit)
  • verabscheuen ein ausschweifendes Leben
  • halten Ehe und Familie sowie Häuslichkeit hoch und sehnen sich nach stabilen, berechenbaren Verhältnissen im Privaten, Geschäftlichen und in der Politik
  • führen ein Leben in Sparsamkeit und Ehrbarkeit, und trachten auf Bewahren und Vermehren ihres Besitzes
  • erweisen sich in kulturellen Fragen als geistig beschränkt, Geschmacklos, dem Kitsch und seichter Unterhaltung verfallen
  • nutzen Kultur nur als Dekoration ihrer armseligen Existenz
  • pochen in allen Fragen der Existenz auf Erfahrung und lassen Phantasie wie Inspiration vermissen

Dieser herablassende Blick auf die Bourgeoisie kann als Indiz gesehen werden, dass sich zumindest Teile der künstlerischen Bohéme - obwohl selbst zum Großteil bürgerlichen Ursprungs - als Folge der restaurativen Tendenzen der Kaiserzeit nach einer Re-aristokratisierung der Kultur sehnen, vielleicht auch in Ermangelung von gleichrangigen institutionellen Alternativen. War die Akadémie Royale1792 von den Stürmen der Revolution, und unterstützt von Jacques Louis David, hinweggefegt worden, so erstand sie unter dem ehemaligen Revolutionär David 1795 als Institut de France schon wieder neu, blieb aber ihrem feudalen Geist verhaftet und wurde damit zum Gegenspieler der Kunsterneuerer, die sich den Bewegungen der Romantik, des Realismus, des Naturalismus, des Impressionismus anschlossen. Während sich die Kaste der akademischen Künstler im 19. Jh ganz im feudalen Stil an ästhetische und pädagogische Traditionen klammert, die sie vorwiegend auf Antike und Renaissance zurückführt, sowie an institutionellen Privilegien festhält (Ausrichtung des Salons, Bestellen der Jurymitglieder, Vergabe von Medaillen und Stipendien, Entscheidung über staatliche Ankäufe), berufen sich die um Anerkennung bemühten Künstler auf die Originalität ihrer Autorenschaft = Authentizität, die sie zum Geniekult stilisieren und womit sie die Legitimität von Brüchen mit der Tradition rechtfertigt. Unter dem Blickwinkel der Neuerer wird der Akademismus und seine Salonmalerei zum Synonym für künstlerischen Stillstand, Dekadenz, Realitätsflucht, Lüge und Kitsch, ein letztes Refugium für Dekoratives, Gefälliges, Geschlecktes. "In der Zeit zwischen Romantik und Moderne war die Kultur der gesamten westlichen Welt in allen Bereichen von den gleichen Kitschtendenzen durchsetzt" ( Gelfert, "Was ist Kitsch" zitiert in Christian Demand, "Die Beschämung der Philister", S.105 )

Unter Kitschverdacht geraten am Ende des 19. Jh gleichfalls die klassizistischen, neugotischen, neuromanischen Fassaden des Historismus, der sich in der Architektur durch das ganze Jahrhundert zieht. Künstlerische Wahrheit wird dagegen verknüpft mit Authentizität, die der schöpferische Geist aus seiner subjektiven Intuition bezieht. Wahre Kunst kann sich nur etablieren im Durchbrechen und Verletzen gängiger Erwartungen. Es ist nur logisch, dass eine Künstlerschaft, die so mit ihrem Publikum hadert, sich zunehmend der Idee verschreibt, dass Kunst nur noch ihren eigenen Regeln und Zwecken dient: L'art pour l'art wird zur Pathosformel und zu einem Kampfbegriff der Moderne.

Am Ende des Jahrhunderts stehen sich die Fronten geradezu hasserfüllt gegenüber. Einerseits beginnt 1892 mit der Schrift des Arztes Max Nollau mit dem Begriff "Entartung" eine Vorstellung zu gären, die in der kulturellen Entwicklung Krankheitssymptome ausmacht, die es nicht nur zu heilen, sondern zu bekämpfen und letztlich auszumerzen gilt . Andererseits sehen Künstler im Kitschbedürfnis des bürgerlichen 'Herrn Jedermann' eine Gefahr für die Volksgesundheit, "eine Art ästhetischer Droge, psychisches Opium, ästhetisches Schlafmittel, das das Denken blockiert, das, im Gegensatz zu authentischer Kunst, geistig faul und Träge macht und darum auch mit allen Mitteln der geistigen Hygiene bekämpft werden muß."( Demand, "Beschämung.." S.106 )
"Die Unversöhnlichkeit in der Gegnerschaft von Philister und Künstler steigert sich im deutschen Expressionismus zu einem Frontalangriff auf das Spießertum, der aich von enthumanisierenden Zerrbildern nicht zurückschreckt." <Alles soll leben>, heißt es bei Richard Huelsenbeck, <aber eins muß aufhören - der Bürger, der Dicksack, der Freßhans, das Mastschwein der Geistigkeit, der Türhüter aller Jämmerlichkeit.>" ( E. Neumann, "Künstlermythen" S.250 )

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B) Wunsch- und Zerrbilder: Kunsthimmel und Bürgerhölle
Gegen Ende des 19.Jh schwindet die Autorität der Akademien. Einerseits wird die Professorenschaft zunehmend unterwandert von den Generationen der Erneuerer, die dann doch ein wenig frischen Wind mitbringen, andererseits schwindet die Bedeutung der Salons im Zuge eines sich breit entfaltenden Kunstmarktes. Kunstvereine, Künstlervereinigungen schaffen neue Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten für Kunst jeder Größenordnung. Für kurze Zeit wird die unjurierte Ausstellung -Salon des Indépendants 1884 - ein Modell für Frankreich mit Ausstrahlung nach Deutschland und bis nach Amerika. Mit dem schwindenden Einfluss der Akademien verlagert sich die Auseinandersetzung der Erneuerer auf andere Felder. Mit teilweise militanten Anstrengungen, Parolen und zum Teil auch handgreiflichen Auseinandersetzungen entwickelt zu Beginn des 20. Jh der künstlerische Nachwuchs mit der Idee der  Avantgarde (Vorreiter) ein militantes Leitbild, das die Kunstgeschichte über viele Generationen hindurch durch das 20. Jh begleitet.
Im Kunsthistorischen Museum von Wien schwelgt der auch als Realist und Freund von Leibl bekannte deutsch-ungarische Maler Munkacsy 1890 noch einmal in der Vorstellungswelt akademischer Kunst mit seiner Apotheose der Renaissancekunst. Drei Jahre später wird George Grosz geboren, der dem Kunsthimmel die bürgerliche Hölle gegenüberstellen wird.
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Kunsthimmel

Die Decke der riesigen Eingangshalle des Kunsthistorischen Museum in Wien gibt uns einen Einblick in den Kunsthimmel des Jahres 1890. "Apotheose der Renaissance" von Munkacsy Mihaly, alias Michael Lieb. Da bleibt nicht viel Raum für Irdisches, geht es doch um eine Vorstellungswelt von Kunst und Künstler, an der die akademische Kunst noch am Ende des 19. Jahrhunderts verbissen festhalten will.

Wie der Besucher ins Museum, so wird man auf einer Treppe ins Bild hineingeführt, in einen Kuppelsaal mit mehreren Etagen, der durch schwebende Engel (Gloria und Fama) als Allegorie des Himmels zu verstehen ist. Auf der ersten Etage wird theoretisiert im Gespräch links zwischen Alt und Jung (Leonardo und Raffael) und rechts nachgedacht, vielleicht auf Inspiration gewartet. Einen Treppenabsatz höher sehen wir ein Atelier. Natürlich folgt der Blick erst einmal der Geste und Blickrichtung von Meister (Tizian) und drei Gesellen (Mitte) nach rechts, wo sich zwei Modelle nackt in Position bringen, während eine dritte Frau noch im blauen Hemd auf ihren Einsatz wartet.
Links steht auf einem Gerüst vor monumentaler Leinwand ein Madonnenmaler (Veronese).Eine über ihm schwebende Fama bläst ihm mit langer Fanfare spärische Versprechen von künftigem Ruhm zu, während andere Engel mit ihrem Flügelschlag und Palmwedeln für einen Luftzug von Frieden sorgen, der im akademischen Himmel immer gefährdet erscheint. Rechts hinter den Damen, mit dem Hammer in der Hand ein Bildhauer (Michelangelo). Wieder eine Etage höher, in einer Loge dieses Kunsttheaters geht es um Verhandlungen mit dem Auftraggeber. Da wir uns zeitlich in der Renaissance befinden ist es ein kirchlicher Würdenträger, der Papst Julius II.
Zurück zum Einstieg in das Bild: Der bürgerliche Betrachter, als der wir das Museum betreten, hat hier oben, in diesen lichten Höhen, keinen physischen Zugang. Aber immerhin ist er aufgefordert, mit ehrfurchtsvoll gebeugtem Rücken und in antiker Verkleidung, sich zumindest geistig dorthin zu erheben.                            (Zuordnungen laut Führer Nr. 36,1988, S.12)

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Bürgerhölle

Stützen der Gesellschaft hieß 1877 ein in München aufgeführtes Drama von Henrik Ibsen, der damit eine neue dramaturgische Gattung begründete, die des naturalistischen Gesellschaftsdramas. Er zog damit gegen die Doppelmoral und die „Lebenslüge“ seiner Zeit zu Felde.
George Grosz stellt in seinem gleichnamigen Bild von 1926 dem deutschen Bürger ein nicht nur spaßiges Zerrbild als künstlerischen Spiegel entgegen. "Stützen der Gesellschaft" ist das Gemälde betitelt. Für eine Karikatur, wie sie damals auch im Simplizissimus hätte erscheinen können, für den auch Grosz Beiträge lieferte, besitzt das Gemälde ein ungewöhnliches Format ( 2 Meter Höhe) und als Malerei (Öl auf Leinwand) einen ungewöhnlichen künstlerischen Anspruch. Das Bild ist eine bitterböse, verächtliche Charakterstudie des wohl eher gehobenen Bürgertums der Weimarer Republik. Spätestens mit Dada wird auch in Deutschland die Publikumsbeschimpfung salonfähig und der Zuschauertumult zur Werbeveranstaltung für kulturelle Ereignisse: 

Die Figuren von unten nach oben:
Der Nazi,
ein Mittelständler, NSDAP -Mitglied (Kravattennadel mit Hakenkreuz), Burschenschaftler oder  Corpsstudent (Couleurband, Säbel, Schmisse), evtl. ein adeliger Hohlkopf mit militaristisch-ritterlichen Phantasien, trägt im Auge ein Monokel, am Revers ein Parteiabzeichen, in der Rechten einen Säbel und in der Linken einen gläsernen Bierkrug. 
Der Schreiberling,
ein Journalist mit Ähnlichkeit zum Großunternehmer und Mediengigant Alfred Hugenberg (Bart, Zwicker, Rundkopf), trägt diverse Zeitungen im Arm (Hugenberg kontrollierte die Hälfte der deutschen Presse), hält in der Rechten einen Bleistift wie eine Stichwaffe. Die Überschriften in Zeitungen verweisen auf Zusammenhang zwischen gesunder Wirtschaft und d. Niederschlagung von Streik u. Aufstand. Ein blutbeschmierter Palmwedel (Friedenszeichen) und ein zum Helm umfunktionierter Nachttopf symbolisieren Falschheit und Spießbürgerlichkeit.
Der Parlamentarier,
ein feister Wohlstandsbürger, vielleicht ein Industrieller, mit dampfendem Scheißhaufen im Kopf, als Stellvertreter für die Parlamentarier der Weimarer Republik und vertritt mit seinem Fähnchen die reaktionären Kreise (Schwarz-Weiß-Rot, die Fahne des Kaiserreichs), zugleich die SPD (Parole "Sozialismus ist Arbeit") 
Der Richter oder Pfaffe
Talar und Kappe verweisen auf Kirche oder Justiz, die Gestik ist die eines beschwörenden Predigers. Er zeigt die Zähne, aber wendet dem Greuel (über ihm und der marschierenden Reichswehr) den Rücken.
Die Reichswehr,
die aus dem Bild herausmarschiert. Blut klebt dem Behelmten am Säbel.
Die marodierenden Horden
dreschen mit Säbeln auf irgendwas ein. Wo sie herkommen brennen die Häuser.

Grosz wurde für seine Karikaturen und DADA-Aktionen mehrmals angeklagt und zu Geldstrafen verurteilt. Er emigrierte 1933 in die USA. Seine in Deutschland verbliebenen Gemälde galten den Nazis als „Entartete Kunst“.

C) Künstlerische Leitbilder und ihre bürgerlichen Gegenbilder im 20. Jh.
 Künstler und Publikum bilden über weite Strecken des 19. und 20. Jahrhunderts eine Front gegeneinander (Bohéme gegen Philister). In der gesellschaftlichen Nische der Bohéme, und unter dem Feigenblatt der Kunst, gelingt es den Künstlern sich Schleusen für exklusive Freiheiten zu öffnenen die der bürgerlichen Moral widersprechen. Insofern wird Kunst zu einem Ventil für unterdrückte Triebe und Bedürfnisse. Die Freiheiten, die sich die Kunst herausnehmen darf, werden von der bürgerlichen Öffentlichkeit einerseits argwöhnisch betrachtet, gelegentlich mit dem wohligen Schauer der Sensation erregt diskutiert und skandalisiert, andererseits auch als Heilsbotschaften für ein freieres, natürlicheres, heileres, alternatives Leben gepriesen. 
Und doch stellt dieser Konflikt nur eine mögliche Betrachtungsweise dar. Wie schon in den ersten beiden Abschnitten deutlich wurde, lassen sich die Verwerfungslinien auch durch die Kunst selbst verfolgen (z.B. im Streit der Schulen). Im Folgenden werden sechs Künstler des 20. Jh vorgestellt, die in Elementen ihrer Biografie unterschiedliche Leitbilder vom modernen Künstler repräsentieren. Diese biografischen Elemente - an einer Person exemplarisch vorgeführt -  prägen oft über mehrere Generationen hinweg die Vorstellung vom Künstlertum und können dann in unterschiedlicher Dosierung sich in verschiedenen Persönlichkeiten wiederfinden. Oft stehen sie im Widerspruch zu gesellschaftlichen Erwartungen an den "Normalbürger", was hier in der Formulierung eines Gegenbildes an bürgerlichen Normerwartungen verdeutlicht werden soll. Anders gesagt: Im Bild vom Künstler werden oft Einstellungen, Schicksale oder Charaktermerkmale nobilitiert, die normal eher als unerwünscht gelten.
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Leitbild
z.B.
Gegenbild 
Der Schmerzensmann


  • Suche nach dem Ursprünglichen = Reinen = Originalen ("Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?" heißt eines seiner größten Bilder von 1897) Die verlorene Unschuld der bürgerlichen Zivilisation weckt Heilserwartungen in primitivere, 'natürlichere' Lebensformen.
  • Kunst und Leben als eine Einheit soll der zivilisatorischen Entfremdung entgegenwirken.
  • Der Künstler ist um seiner Kunst willen zu jedem Opfer und Leiden bereit, "er ist er selbst, abermals und stets nur er selbst". "Man muss sich mit Leib und Seele in den Kampf stürzen"(Zitate aus Rewald, S.349). Viele Künstler erleben sich als von der Gesellschaft in eine Opferrolle getriebene. Dabei bezahlen sie ihre privilegierten Freiheiten oft nur mit einer Außenseiterrolle.
  • Das verkannte Genie sucht Heilung für sein Leiden an der Gesellschaft in christlichen Erlösungsphantasien

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    Vergleich mit van Gogh, James Ensor


    Paul Gauguin 1848-1903
  • Antibürgerlich

  • Nach Besuch einer Koster- später Marineschule schlägt er erst eine bürgerliche Laufbahn ein als Offiziersanwärter und später Bankangestellter. Mit 34 Jahren steigt er aber nach beruflichen Problemen aus seinem bürgerlichen Beruf als wohlsituierter Börsenmakler aus, pflegt enge Kontakte zur Alternativszene der Impressionisten und beschließt Künstler zu werden. Eine Freundschaft mit van Gogh endet tragisch. Er lässt mit 39 Jahren seine Frau endgültig mit 5 Kindern sitzen und lebt als 50jähriger und später mit verschiedenen 13-14-jährigen Tahitianerinnen zusammen, mit denen er weitere Kinder hat. 
  • Zivilisationsfeindlich

  • Auf der Flucht aus der Bürgerlichkeit verlässt er seine Familie, sucht Streit mit Freunden und Gegnern, legt sich mit Machtapparaten von Staat und Kirche an, sucht 'seine' Ursprünge schließlich in der Südsee in selbstgebauten Hütten am Meerstrand.
  • Selbstzerstörerisch

  • Er bezieht bleibende körperliche Schäden aus Schlägereien, aus einer Vergiftung nach Selbstmordversuch, aus einer verschleppten Syphilis, leidet an Herzproblemen, zieht sich in Auseinandersetzungen mit Obrigkeit und Kirche eine Gefängnisstrafe zu, bekämpft seine körperlichen wie seelischen Qualen schließlich mit harten Drogen und stirbt 1903 mit nur 54 Jahren.
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    Der Exzentriker


  • Erschließt der Malerei das Irrationale, Absurde als poetischer Kontrast zu einer von Rationalität bestimmten Welt
  • Bildwelt als Traumwelt - Traum und Trauma lösen die Wahrnehmung aus der retinalen Fixierung des Impressionismus. Die Bildmotive gründen im Allegorischen und in der Metapher. Ängste, Halluzinationen (Wahnvorstellungen), traumatische Erfahrungen verbinden sich irritierend mit einer akademisch geschulten Malweise.
  • Zufall, Montage relativieren als Prinzipien der Wahrnehmung ein naturalistisches Raum-Zeit Verhältnis. Assoziative und zufällige Verkettungen entziehen sich eindeutigen Erklärungen und einem logischen Verstehen.
  • Kunst als Lizenz zum Verrücktsein: „der einzige Unterschied zwischen mir und einem Verrückten ist der, daß ich nicht verrückt bin! “ (Daniel Abadie in "Salvador Dali", Ausstellungskatalog 1980

  • Salvador Dali 1904-1989
  • Unangepasst, renitent, anarchistisch

  • Als Jugendlicher zeigt er früh Sympathien für kommunistisch- anarchistisches Gedankengut. Beginn einer akademischen Ausbildung als Maler/Grafiker in Madrid. Fällt auf als bunt kostümierter, skurriler Vogel. Durch Bekanntschaften mit Bunuel und Garcia Lorca erwacht sein Interesse für Freuds Psychoanalyse. Er wird als unangepasster, renitenter Unruhestifter kurz inhaftiert und aus der Akademie ausgeschlossen. Geht nach Paris und schließt sich den Surrealisten an, die mit Manifesten und öffentlichen Kundgebungen die Kunst neu erfinden wollen. Filmische Experimente mit Bunuel (Un chien andalou und L’Âge d’Or) enden 1930 als öffentlicher Skandal, der ein Aufführungsverbot des Films nach sich zieht, und in einem Zerwürfnis mit dem Freund. 
  • Verrückt, obsessiv, krank

  • Der provokant vorgetragene nihilistische Habitus, die Inszenierung des Absurden, sexuelle Tabubrüche werden nicht als öffentliche Psychohygiene angenommen sondern als Verletzung des bürgerlichen Bedürfnisses nach Schutz der Intimsphäre vehement abgelehnt. Sympathien mit politischen Extremisten wie Franco und Hitler werden auch von der Gruppe der Surrealisten als politische Verirrung abgelehnt. Eine Beziehung mit der Frau des Dichters Eluard zeigt öffentlich zur Schau gestellte sexuelle Obsessionen. All dies führt schließlich zu einem Zerwürfnis mit führenden Surrealisten. In der bürgerlichen Welt gelten Wahnvorstellungen, traumatische Angsphantasien, sexuelle Obsessionen als Krankheitssymptome.
  • Zu akademisch und zu erfolgsorientiert

  • Sein Rückgriff auf den Akademismus und die glatten Malweisen der bereits als Kitsch verpönten Salonmalerei des 19. Jahrhunderts isolieren Dali im Umfeld des weniger gefälligen Expressionismus. Sein kommerzieller Erfolg in England und Amerika und mindestens 40.000 mit seier Blankounterschrift gefälschte Druckgrafiken desavouierten ihn für einen 'seriösen' Kunstmarkt.
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    Der Vergeistigte Prediger



  • Aus gut bürgerlichem Hause stammend wächst er weitgehend ohne Mutter auf. Höhere Schulbildung, Jurastudium und Assistenzstelle an der Universität Moskau 1892. Heirat mit seiner Cousine. Betreibt 1901-04 mit der Künstlergruppe Phalanx eine private Kunstschule in München.
  • Orientierung am Impressionismus bis 1908. Teilnahme an Ausstellungen in Berlin und Paris. Danach unter dem stilistischen und maltechnischen Einfluss von Werefkin und Jawlensky Ansätze zu einer expressiven Malweise nach französischen Vorbildern (van Gogh, Gauguin etc.).
  • Beeinflusst durch die Theosoposophie Blawatzkys und Steiners sowie okkultistisch-esoterische Lehren von A. Besant und C.W. Leadbeater arbeitet Kandinsky an Lehren über eine 
  • Geistige Kunst und über Abstraktion in der Malerei, die er theoretisch in Schriften untermauert ("Über das Geistige in der Kunst"), und über deren Erfindung er eine Deutungshoheit beansprucht ('erstes abstraktes Aquarell' 1910).„Ich habe als erster mit der Tradition gebrochen, zu malen, was wirklich existiert. Der Begründer der abstrakten Malerei. – das bin ich.“
  • Vorsitz in der Neuen Künstlervereinigung München und führender Kopf der 
  • Künstlervereinigung Blauer Reiter 1911
  • Lehrer am Bauhaus 1922-1933
  • Er propagiert eine prophetische, seherische Kraft der Kunst und fordert eine
  • geistige Wende. "Der in das Reich von morgen führende Geist kann nur durch Gefühl (wozu das Talent des Künstlers die Bahn ist) erkannt werden." ("Über das Geistige.." S.39)"Auf eine geheimnisvolle, rätselhafte, mystische Weise entsteht das wahre Kunstwerk aus dem Künstler."("Über das Geistige.." S.132) Den Künstler nennt er "Priester des Schönen".("Über das Geistige.." S.136)

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    Vergleich mit Malewitsch, Mondrian


    Vassily Kandinsky 1866-1944
  • Aussteiger 

  • Er verlässt er die bürgerlich-juristische Laufbahn und seine angetraute Ehefrau und nimmt mit 30 Jahren ein Kunststudium in München auf. Die Kunstschule geht nach drei Jahren 1904 pleite, es bleibt eine dort gemachte Bekanntschaft mit Gabriele Münter, die er 1916 verlässt. 1917 heiratet er seine 2. Frau.
  • 'Erfinder' eigenwilliger Kunstgeschichte(n) 

  • Einige seiner frühen abstrakten Bilder datiet er vor als Nachweis seiner 'Erfindung' der Abstraktion. Seine Schrift "Über das Geistige in der Kunst" enthält unzitierte Übernahmen = Plagiate einer Schrift von Rudolf Czapek. Solche Manipulationen weisen ihn als Ehrgeizling aus, der seinen Platz in der Kunstgeschichte gerne selbst definieren wollte.
  • Intrigant

  • Bei dem inszenierten Zwist in der Neuen Künstler Vereinigung München der zur Spaltung der Gruppe führt, zeigt sich, dass er auch gegen 'Freunde' bereit war mit harten Bandagen seine Interessen durchzusetzen. Was seine politischen Einstellungen betrifft, so bezieht er in seiner Schrift "Über das Geistige in der Kunst" durchaus polemisch Position:
  • Gegen den "Alpdruck der materialistischen Anschauungen" "Unsere Seele, die nach der langen materialistischen Periode erst im Anfang des Erwachens ist, birgt in sich Keime der Verzweiflung des Nichtglaubens, des Ziel- und Zwecklosen." ("Über das Geistige.." S.22)
  • Gegen l'art pour l'art 
  • "Die große Menge (der Zuschauer) schlendert durch die Säle und findet die Leinwänder 'nett' und 'großartig'. Mensch, der was sagen könnte, hat zum Menschen nichts gesagt, und der, der hören könnte, hat nichts gehört. Diesen Zustand der Kunst nennt man l'art pour l'art."("Über das Geistige.." S.25)
  • Gegen "Volksvertretungsanhänger und Republikaner" 
  • "Sie heißen Juden, Katholiken, Protestanten usw. In Wirklichkeit sind sie Atheisten, was einige der Kühnsten oder Beschränktesten auch offen bekennen. Der Himmel ist entleert. Gott ist gestorben. Politisch sind diese Einwohner Volksvertretungsanhänger oder Republikaner... Ökonomisch sind diese Menschen - Sozialisten."("Über das Geistige.." S.36)
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    Der Fallensteller



  • Aus gut bürgerlichem Hause gebürtig, durchläuft er eine höhere Schulbildung und beginnt sich wie seine beiden älteren Brüder und seine ältere Schwester für Malerei zu interessieren. Besuch einer privaten Kunstschule in Paris, grafische Lehre. 
  • Orientierung an Impressionismus, dann Vauvismus beweisen erste Ausstellungsteilnahmen von Gemälden im  'Salon d'Automne' und bei den 'Indépendants'. 
  • Indifferenz als Lebenshaltung und ästhetisches Prinzip gibt Duchamp seit ca. 1911 als seine am Skeptizismus orientierte philosophische Einstellung an. Die Auseinandersetzung mit materialistischer Wertlehre (Stirner) mag ihn zu der Einsicht geführt haben, man müsse auch in der Kunst
  • Die Rolle des Betrachters ausweiten. "...ein Werk (wird) vollständig von denjenigen gemacht, die es betrachten oder es lesen und die es, durch ihren Beifall oder sogar durch ihre Verwerfung, überdauern lassen.
  • Experimente mit dem Zufall, ein Interesse an Kinetik und an Raumtheorien (Perspektive, 4. Dimension) greifen Fragestellungen auf, die im Symbolismus, Kubismus, Futurismus, Dada, Surrealismus zeitgleich eine Rolle spielen.
  • Kunstobjekte und reale Dinge sind unter dem Aspekt ästhetischer Indifferenz als Gleichwertig zu betrachten. Das führt Duchamp zu der Frage "Kann man Werke schaffen, die keine  Kunst-Werke sind?". Aus diesem Denkansatz geht die Erfindung "Ready-Made" hervor. 
  • Schachprofi, Kunstmakler und Ausstellungskurator sind ihm Betätigungsfelder, in denen sich Duchamp auch um die Vermarktung seiner eigenen Kunst kümmern kann und Einfluss nimmt auf die kunsthistorische Deutung seiner Ideen. Dabei sind ihm Missverständnisse, Widersprüchlichkeiten und Rätsel um seine Person, sein Werk und seine Aussagen dazu durchaus willkommen, weil sie sozusagen die Diskussion im Gang halten und durch neue Impulse befeuern. Sein Werkverständnis weist dem Zuschauer bzw. der Nachwelt eine bestimmende Rolle im "kreativen Akt" zu: "Alles in allem wird der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen; der Zuschauer bringt das Werk in Kontakt mit der äußeren Welt, indem er dessen innere Qualifikationen entziffert und interpretiert und damit seinen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt." (Duchamp zitiert in Tomkins S.573)

  • Marcel Duchamp alias Rose Sélavie 1887-1968
  • Lockere Lebensweise 

  • Als junger Mann, führt er mit zahlreichen Liebschaften, wechselnden Arbeitsverhältnissen, unterstützt durch seinen Vater und später durch Gönner eher den unsteten aber anspruchslosen Lebenswandel eines Bohémien. Seine erste Ehe mit 40 Jahren war ein Versuch, an ein geregeltes Einkommen zu gelangen,  hielt nur ein halbes Jahr, ein zweiter Versuch erfolgte 1954. Hinterlässt anscheinend mehreren Frauen ein 'unsigniertes' Kind.
  • Ambitionierte karikaturistische Versuche 

  • Die Teilnahme an einer Ausstellung von Karikaturen im 'Salon des Artistes Humoristes' 1907, zeigt eine durch seinen Bruder angeregte ironische Distanz zu Zeiterscheinungen und eine geistige Nähe zu Satirikern aus dem Umfeld von 'Le Rire' und den 'Les Incohérents'. 
  • Gegen retinale Kunst 

  • Seit er sich 1911 dem Versuchsfeld Kubismus zuwendet fixiert sich sein Interesse auf einen philosophischen Skeptizismus (Pyrrhon von Elis), der sich vor allem gegen "retinale Kunst" richtet, die, wie der sensualistische Impressionismus etwa eines Monet "reines Sehen" sein will. Aus dieser Haltung heraus will er
  • Kunst und Künstler 'von ihrem Piedestal' holen.

  • Er lehnt (vielleicht vor dem Hintergrund der Wertlehre Max Stirners) den überlegenen moralischen, quasireligiösen Status, den so viele Künstler für sich und ihr Werk in Anspruch nehmen ab und setzt dagegen den 
  • Geist der Ironie.

  •  Er verbirgt seine Autorenschaft vielfach hinter Pseudonymen und arbeitet gern mit sprachlichen Doppeldeutigkeiten. In der Kunstgeschiche wird Duchamp gern in Verbindung mit Dada gebracht. Allerdings kann man einen Unterschied erkennen zwischen Duchamps Verständnis von Ironie und der oft antibürgerlichen agitatorisch-kabarettistischen Praxis von Dada. Duchamp selbst hält sich von Gruppierungen eher fern.
  • Gegen Intuition 

  • als künstlerisch-mystifizierende Triebfeder richtet sich sein Eintreten für die Einführung des Zufalls bei der Bildgestaltung. 
  • Gegen die These von der künstlerischen Begabung 

  • und dessen Ausdruck im unverwechselbaren zeichnerisch- malerischen Duktus ("la patte") kann seine gezielte Verwendung mechanischer Hilfsmittel beim Zeichnen verstanden werden. (s.a Calvin Tomkins, S.157)
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    Der Märtyrer und Gesalbte


  • aus bürgerlichen Verhältnissen erhält er eine höhere Schulbildung und bildnerische Förderung, ist mit 15 Jahren in der Hitlerjugend und erfüllt von abenteuerlich-pfadfinderischen Vorstellungen. Er geht nach dem Abitur freiwillig zur Luftwaffe, macht eine Ausbildung als Bordfunker. 
  • Kriegseinsätze auf Sturzkampfflugzeug (Funker, MG) auf der Krim und in der östlichen Adria. 1944 Absturz auf der Krim führt zu schweren Verletzungen. Später Einsatz als Fallschirmspringer, mehrere Auszeichnungen nach Verwundungen. Nach dem Krieg britische Internierung. 
  • akademisches Studium der Bildhauerei ab1946, Teilnahme an Ausstellungen, Mitarbeit an zoologischen Filmen, Bekanntschaft mit der Antroposophie Steiners. 
  • Orientierung am Expressionismus. Bildhauerisch- handwerklich tätig. 
  • "Auferstehung durch Feldarbeit". Er besetzt seine Heilung mit christlichen, alchemistisch-pseudowissenschaftlichen und schamanisch-pseudoreligiösen Symbolen, Metaphern ('Private Mythologie'). 
  • Krankheit und Heilung als Thema seiner Kunst 
  • 1961 "Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei" an der Kunstakademie Düsseldorf, außerordentlicher Einsatz, Präsenz  für seine Studenten. 
  • Vita als Kunstwerk. Beuys begnügt sich nicht mit einem "profanen" Lebenslauf, sondern bastelt seit 1964 an einem "Lebenslauf/Werklauf", in dem er Leben und Werk in einen engen, z.T. 'eigenwilligen' Zusammenhang bringt. Filz und Fett als Material seiner Kunst bringt er in Verbindung mit einer Rettung durch Tataren nach seinem Absturz auf der Krim.
  • Fluxusaktionen seit 1962 und Auseinandersetzung mit DADA. Öffentliche Auftritte mit inszenierter, als Ritual zelebrierter Handlung werden Teil eines neuen, alternativen Werkverständnisses.
  • Gastprofessur in Hamburg 1974 
  • Jeder Mensch ein Künstler ist eine der paradoxen Parolen, die einen Freiheitsbegriff  und "erweiterten Kunstbegriff" repräsentieren sollen, Kunst als "sozialer Plastik" metaphorisch einen 'neuen Sinn' unterstellen. 

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    Beuys 1921-1986
  • Kriegstraumata verarbeitet er in ästhetischen Kompensations- und Verdrängungsstrategien.
  • Als existenziellen Stillstand erlebt er zwischen 1954 und 57 sein künstlerisches Suchen und verfällt schließlich in schwere Depressionen. Der Bruch mit der Verlobten löst einen psychisch-physischen Zusammenbruch aus mit todesnahen Erlebnissen und dem erklärten Bedürfnis zur "Selbstauflösung".
  • Agitation gegen Aufnahmeverfahren der Akademie: 1971 nimmt er 142 abgewiesene als Studenten in seine Klasse auf. Begabung und Auslese als Voraussetzungen für eine künstlerische Praxis werden damit abgestritten. 'Beitrittserklärung' zur Kunst genügt. Das richtet sich gegen die Definitionshoheit der Akademie und führt 1972 zu seiner Kündigung. Solidaritätsbekundungen zu Hauf aus aller Kunstwelt.
  • Als Protagonist einer Alternativkultur und Bürgerschreck wird er 1967 in Zeiten der APO (Außerparlamentarische Opposition) zum Gründer der 'Deutschen Studentenpartei', kandidiert 1976 in einer „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher“ für ein Bundestagsmandat, 1973 selbst ernannter 'Universitätsgründer' ('Freie internationale Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung').
  • Rettung durch Tataren stellt sich im Jahr 2000 als 'Dichtung' heraus. "Hirten fanden ihn aus dem Felde, salbten ihn mit Fett uind hüllten ihn in Filz" - ein Weihnachtsmärchen, das ihn als Christus = Gesalbten verklärt und der Verwendung von Fett und Filz einen überirdischen Sinn verleiht.
  • Als Spekulationsobjekt auf dem Kunstmarkt belegte Beuys 1973 im Kunstkompass, einer Weltrangliste der 100 bedeutendsten Gegenwartskünstler, den vierten Platz, und bereits 1979 den ersten Platz.
  • Versicherungskunst wird mit Beuys eine neue Anlageform: Weil seine Objekte nicht immer von jedem als Kunst erkannt wurden, fielen eine bepflasterte Kinderbadewanne und eine Fettecke in der Akademie gut gemeinten Reinigungsaktionen zum Opfer, woraufhin ihr Wert vor Gericht von den 'Besitzern' eingeklagt werden konnte.
  • Paradoxien gehören zu seinen öffentlichen Aktionen und seinem Reden wie selten bei einem bildenden Künstler. Seine Aussagen sind durchsetzt von Widersprüchen und geben wie ein Orakel mehr Rätsel auf als sie Verständnis auslösen können: "Hiermit trete ich aus der Kunst aus" (Multiple von 1985) und: "Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt Keilrahmen und Leinwand zu kaufen."(Manifest von 1985)
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    Der Spekulant


  • "Der erfolgreiche Künstler schafft kein Werk, sondern trifft Entscheidungen, wählt die richtige ästhetische Strategie, dem Instinkt eines Fondsmanagers vergleichbar" (Beat Wyss, "Profit ohne Arbeit" in Holger Liebs, "Die Kunst das Geld und die Krise, 2009)
  • Künstler, Kurator, Händler und Käufer in einer Person geben Hirst einen optimalen Einfluss auf den kreativen Anteil, den der Verwertungsprozess im Sinn von Duchamp seinem 'Werk' hinzufügt. Indem er seine Ware bei sinkenden Preisen vom Markt nimmt und bei steigender Nachfrage wieder zuführt trägt er gestaltend der Tatsache Rechnung dass der Kunstmarkt wesentlich zu einem internationalen Spekulationsfeld geworden ist. Letzte Konsequenz wäre der Börsengang des Künstlers.
  • Neue Vertriebskanäle erschließt Hirst der Kunst , indem er unter Umgehung von Galeristen 2008 in einer zweitägigen Auktion bei Sotheby’s 287 seiner Werke direkt aus dem Atelier mit einem Erlös von 172 Mio Dollar versteigern ließ. „Hirst vertraute nicht auf traditionelle Kunstliebhaber, sondern suchte sich gezielt russische Oligarchen, arabische Ölscheichs und angelsächsische Hedge-Fonds-Manager als Abnehmer“(Handelsblatt vom 8. Februar 2010 zitiert in wikipedia)
  • Hai in Formaldeyd "The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living" mit einer Verfallszeit von 15 Jahren, eine Auftragsarbeit für den Kunsthändler Charles Saatchi, der es 2004 für 9,3 Millionen Euro an den amerikanischen Sammler Cohen verkaufte."Es ist irgendwie das, was falsch ist mit dem wissenschaftlichen Ansatz oder so.“(Hirst)
  • "For the Love of God", einen mit Diamanten besetzten Platinabguss eines Schädels präsentierte Hirst 2007 in der White Cube Gallery in London. Das Objekt wurde zum Preis von 75 Millionen Euro als teuerste Arbeit zeitgenössischer Kunst an ein Anlegerkonsortium verkauft, in dem Hirst selbst Mitglied ist. 

  • Damien Hirst 1965-
  • Der "Warencharakter der Kunst" wird trotz aller offensichtlichen Marktmechanismen von vielen Kunstschaffenden als Beschmutzung ihres im Immateriellen, Geistigen verankert gesehenen Werts empfunden. Aus konservativer Sicht gelten Hirsts Aktionen auf dem Kunstmarkt und seine Preise als Beispiel für die "Obszönität des Kunstmarktes" (Robert Hughes, australischer Kunstkritiker <The shock of the new> 2004 in einer Rede in der Royal Academy of Arts).

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    Den Kern eines handwerklichen Werkverständnis bilden die geistigen und werktechnischen Prozesse der Herstellung
    In diesem Verständnis verlässt das Gemälde, die Plastik als <fertiges Werk> das Atelier, und der gesellschaftliche Verwertungsprozess fügt dem nichts Wesenhaftes mehr hinzu. Im schlechtesten Fall wird das Werk durch Kritik verfälscht, misshandelt, im günstigsten Fall werden die Intentionen seines Schöpfers durch einen schmeichelhaften Preis, verständnisreiche Besprechungen und ehrenvolle öffentliche, möglichst museale Präsentation gewürdigt. 
    Ein Blick auf die Kunstgeschichte macht jedoch deutlich, dass das <Werk> mit seiner Entlassung aus der Werkstatt durchaus nicht fertig ist, sondern durch Ausstellung, Verkäufe, Besprechungen, Kritik, Aufnahme in eine kunsthistorische Systematik, zeitgebundene Deutungen, Karrieren eine Transsubstanziation erfahren kann, die dem Werk eine wesentliche Dimension hinzufügt. 
     

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    Quellen
    Nikolaus Pevsner, "Die Geschichte der Kunstakademien", 1986
    John Rewald, "Die Geschichte des Impressionismus", 2001
    Ross King, Zum Frühstück ins Freie, 2007
    Christian Demand, "Die Beschämung der Philister, 2003
    Westphälisches Landesmuseum 1978, "Honoré Daumier Bildwitz und Zeitkritik, Ausstellungskatalog
    Peter Gay, "Bürger und Boheme", 1998
    Peter Dittmar, "Künstler beschimpfen Künstler", 1997
    Iris Schäfer u.a., "Impressionismus - Wie das Licht auf die Leinwand kam", Ausstellungskatalog 2008

    Zum Impressionismus im KUSEM: http://www.kusem.de/lk/manet/manset.htm
    Zu Manet im KUSEM: http://www.kusem.de/lk/impress/impset.htm
    Zu Kandinsky und Abstraktion im KUSEM: http://www.kusem.de/lk/abstr/abstset.htm