Nackt unter Angezogenen
Das Thema zeugt für ein wachsendes Interesse an Psychoanalyse in der zweiten Hälfte des 19. Jhs - jedenfalls geht es dabei um eine in der Psychologie seit damals häufig thematisierte Vorstellung. Die Wissenschaft interpretiert dieses vorwiegend weibliche Traumbild (Abb. aus einem Buch über Traumdeutung) einerseits als Erinnerung an die Kindheit, wo der "kleine Nackedei" bei den ihn umringenden Erwachsenen freudige und lustbesetzte Reaktionen hervorruft, andererseits als angstbesetztes Trauma, in dem der völlige Verlust von Schutz durch die distanzgebende zweite Haut der Bekleidung erlebt wird: Angst vor Entehrung, Entwürdigung. Die Werbepsychologie hat sich dieses Topos der Psychologie seit den 60er Jahren regelmäßig in oft spektakulären Anzeigenserien für Sektreklame, Versicherungen oder Unterwäsche bedient. 
Die Bilder zeigten jeweils eine unbekleidete oder nur mit Unterwäsche bekleidete Frau mitten unter Menschen z.B. in einer Einkaufspassage, auf der Straße, in der U-Bahn bei einer Party, mit dem Fahrrad auf einer belebten Straße etc...
Wie viele Urbilder der Psychoanalyse kennt auch diese Vorstellung ihren antiken Mythos, die Geschichte der Phryne, einer griechischen Hetäre, Liebesdienerin, Priesterin der Aphrodite aus dem 4. Jh und so schön wie klug, die wegen eines Vergehens der Asebie (Gottlosigkeit) angeklagt und vor den Areopag gestellt wurde. Das war für die Frau eine lebensbedrohliche Situation. Ihr Verteidiger Hyperides griff zu einem massiven Mittel, als er dem Volksgericht als Zeichen der Unschuld ihre bloße Brust präsentierte - eine Bildvorstellung, die der Salonmalerei des 19. Jhs den Mund wäßrig machte. Eine der bekanntesten Darstellungen stammt von Gérôme 1861. Die Sage berichtet, daß die Strategie der Verteidigung aufging, der Anblick der Priesterin den Rat mit heiliger Angst und Respekt vor der Botin der Gottheit Aphrodite erfüllte und die Dame freigesprochen wurde. Nacktheit als Zeichen von Unschuld und Natürlichkeit schwebt wohl auch Manet vor.
Manet hat seinem Modell eine Haltung gegeben, die zu einer klassischen Pose der Verführung und weiblichen Anmache geworden ist, wenn sie es nicht schon immer war. Die Frau wendet ihren Körper halb ab, zeigt uns die 'kalte Schulter' aber schaut uns über die hochgezogene Schulter hinweg (mit schmachtendem Blick, d.h. von unten herauf) an. Das Foto von 1931 zeigt Ginger Rogers, eine Filmschauspielerin, die durch ihre Filme mit Fred Astaire später berühmt wurde. Mel Ramos hat die Posen des Pin-up zum Thema seiner Malerei gemacht. 'Cheese' möchte man da sagen. Das Bild heißt "Monterey Jackie" und ist von 1965.