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Woher der Name kommt und welche Rolle er als Thema des Bildes spielt, bleibt mir verborgen. Im Lexikon ist unter Olympias die Gemahlin des makedonischen Königs Philipp II. zu finden. Das wäre die Mutter Alexanders des Großen. Sie war wohl eine frühe Art von Emanze, verließ ihren Gatten, mischte in politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen an entscheidender Stelle mit und fand deshalb einen gewaltsamen Tod durch Hinrichtung. Hans Körner gibt in seinem Buch über Manet mehrere Hinweise auf historische oder literarische Figuren dieses Namens, so die "Kameliendame" im gleichnamigen Roman von Dumas (erschien 1848), einer "Verkörperung der Kurtisane", oder die Puppe Olimpia in E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Sandmann". Der mechanische Automat der Puppe wandelt sich in dieser Erzählung zu einem beseelten Wesen, während ihr lebendiges Gegenstück, Clara, den Charakter eines Holzpüppchens annimmt. Körner führt alle diese literarischen Olympias zurück auf ein historisches Vorbild, die Kurtisane des Papsts Innozenz X, eine angeblich berechnende und kaltherzige Frau üblen Charakters.
Als Manet seine Olympia malte, konnte er, was deren Haltung betraf, auf eine stattliche Ahnenreihe ruhender weiblicher Akte zurückgreifen. In der Regel werden diese Bilder mit dem Namen der Venus benannt, einer altitalischen Gartengöttin, die in römischen Zeiten der griechischen Aphrodite gleichgesetzt wurde, bei Caesar aber auch als Stammutter der Julier gilt. Sowohl die Griechen, als auch die Römer oder die Italiener der Renaissance wußten recht differenziert zu unterscheiden zwischen ihren Ehefrauen als Mütter ihrer Kinder und Damen, von denen sie sich geistvolle, stilvolle und befriedigende Geselligkeit erwarteten. Dem Typus Venus scheint im Lauf der Zeit der mütterliche Aspekt deutlich abhanden gekommen zu sein.
Manets "Venus" hat ein simples, ein wenig unsensibles, bäuerliches Gesicht, die verschieden großen Augen und der breite Kopf sind nicht gerade eine weibliche Attraktion. Auch in der fast knabenhaften Gestalt ist wenig edles zu finden: relativ breite, knochige Schultern, eine kleine puppige Statur und ein betont schmales Becken. Eher eine gewöhnliche als eine umwerfende Erscheinung. Verglichen etwa mit Canovas Pauline Bonaparte ist das ein Klassenunterschied wie Paloma Picasso gegen Claudia Schiffer, "Vogue" gegen "Ottokatalog"
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Ein Mädchen aus dem Volk?
Sicher kannte Manet aus dem Prado in Madrid Goyas "Maya" (span. für 'Mädchen aus dem Volk'), möglicherweise hat er sie im Original erst 1865 kennengelernt, als er nach Madrid reiste. Auch dieses Bild gehört zu den Berühmtheiten des 19. Jhs, aber ein Skandal dazu ist nicht bekannt. Waren die Spanier weniger prüde als die Franzosen? Die Mayas entstanden im Jahr 1800, vermutlich als Auftragsarbeit des Ministers Godoy, mit dessen Besitz sie 1808 beschlagnahmt wurden. Napoleon ließ das Regime Karls IV. und seiner Frau, Königin Maria Luisa, sowie deren Liebhaber Minister Godoy beseitigen. Der Katalog des Prado spricht von einem Doppelrahmen, mit dessen Hilfe man die unbekleidete Version hinter der bekleideten verschwinden lassen konnte (Rollover). Der intime und private Charakter einer solchen Auftragsarbeit steht demnach in keinem Vergleich mit Manets Bild, das für den Salon, also die öffentliche Präsentation gemalt wurde. Die Majas stehen daher eher für die im Zug der bürgerlichen Revolution publik gemachte Dekadenz einer abgehalfterten Herrscherkaste. Das führt möglicherweise auch zu der weit verbreiteten Spekulation, bei der Dame habe es sich um die Herzogin von Alba gehandelt, die zum Hofmaler Goya eine intime Beziehung unterhalten hat und jung an einer Dosis Gift verstarb. Immerhin mußte Goya nach der Vertreibung der Franzosen sich gegenüber dem restaurierten Inquisitionsgericht wegen der Obszönität der "Nackten Maya" rechtfertigen. Wie er da seinen Kopf aus der Schlinge zog, ist mir nicht bekannt.
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Eine Antike Gottheit?
Als Vorbild für Manets Olympia wird neben Goyas "Maya" Tizians "Venus" von Urbino gehandelt. Auch diese Dame blickt den Betrachter unverhohlen, wenn auch leicht geistesabwesend an. Auch sie liegt da wie auf dem Präsentierteller. Die Stelle der Katze nimmt hier ein Hündchen ein, die Dienerinnen sind im Nebenraum beschäftigt. Hat das Bild zu seiner Zeit die Öffentlichkeit erregt? Ist es weniger Skandalbild als Manets Olympia? Wo liegt der Unterschied? Zu Tizians Zeit (die Venus entstand 1538) gab es weder Museen, noch Salons. Das Bild war ein Auftrag für Guidobaldo della Rovere, den späteren Herzog von Urbino, der für seine Lustgemächer einen Muntermacher, er nannte es "la donna nuda" bestellte und offenbar das Modell selbst auswählte. So ein Bild war nicht für fremde Augen bestimmt und als es Jahrhunderte später in den Uffizien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, bot die historische Distanz hinreichend Schutz vor allzu aufgeregten Reaktionen. Man wollte und konnte die Abgebildete als mythologische Figur, als "Venus" betrachten, auch wenn weder das Interieur noch die Situation oder Pose mit der Vorstellung einer antiken Gottheit irgendwie in Zusammenhang zu bringen sind. Man konnte die Kunstfertigkeit des längst verstorbenen Malers in den Vordergrund rücken vor ein Interesse an den körperlichen Reizen der Dame und ihrem anzüglichen Blick. Guidobaldos Mutter, Eleonora Gonzaga, sollte einer Bitte ihres Sohnes entsprechend den Maler für das Bild bezahlen, weil er selbst im Frühjahr 1538 unter Geldnot litt. Die Mutter jedoch bezahlte Tizian nur für ein Portrait ihres Sohnes, die "donna nuda" konnte der erst ein halbes Jahr später selbst erwerben, als Papa starb und ihm ein stattliches Vermögen hinterließ. Mütter haben manchmal eine nüchterne Einstellung zu sog. 'antiken Gottheiten'. Die 'Venus' kam 1631 nach Florenz in die Gemäldesammlung der Medici, in Folge eine Eheschließung zwischen Vittoria della Rovere und Ferdinando II Medici. Dort war sie immerhin einem Kreis aus Kunstverständigen und Künstlern zugänglich. Öffentliches Museum wurden auch die Uffizien erst im 19. Jh.
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Ein männlicher Traum?
Drei Jahre bevor Manet seine Olympia malte, starb in Paris der Maler, der nach David den Klassizismus gegenüber seinem großen Konkurrenten Delacroix verteidigt hatte, Dominique Ingres. 1814 hatte er dieses Bild gemalt, das den Titel "Große Odaliske" trägt. Eine Odaliske ist eine weiße Haremssklavin. Das erinnert uns daran, daß im 19. Jh noch Kriege ausgetragen wurden, bei denen es um Sklaverei oder individuelle Freiheit ging. Ingres' Sklavin präsentiert sich hier absolut nicht als unfreies Geschöpf, sondern eher in der Pose und Körperlichkeit einer Venus. Die Odaliske war ein Auftragsbild für Joachim Murat, König von Napoleons Gnaden in Neapel, ein Auftrag wohl von eher privatem Charakter. In Paris war das Bild, das heute im Louvre hängt, erstmals auf der Weltausstellung von 1855 zu sehen, zu einer Zeit, als Neapel von den Franzosen befreit und der Orientalismus in der Kunst bereits weite Verbreitung gefunden hatte. Wir erkennen in der Kopfpartie der Odaliske Manets Blick über die Schulter aus dem "Frühstück" wieder. Auch die "Große Odaliske" wurde 1855 vom Publikum der Weltausstellung nicht unwidersprochen hingenommen, doch ist über einen "dreisten Blick" nichts nachzulesen, immerhin eine Sklavin in der Gewalt eines Orientalen. Da konnte Mitgefühl ein sexuelles Interesse überspielen. Was die Kritiker vielmehr erregte, waren die Abweichungen von der Anatomie und den klassischen Proportionen, die sich Ingres hier herausnahm. Man sprach davon, daß er ihr mit drei zusätzlichen Wirbeln den Rücken gestreckt hätte, daß die Brust unter dem Arm sitzt und die Breite der Hüfte unnatürlich sei. Die Kritik will offenbar Ingres' Idealbild an der Realität messen.
1804 läßt sich Pauline Bonaparte vom italienischen Bildhauer Antonio Canova als liegende Venus darstellen. Sie soll sehr schön und auf ihren Körper recht stolz gewesen sein. Auch von Napoleon selbst fertigt Canova ein unbekleidetes Standbild. Es macht also durchaus einen Unterschied, wer in die Rolle der antiken Gottheit schlüpft. Daß es sich um ein Rollenspiel handelt, stellt bereits die Distanz zum klassischen Ideal dar, wo es um eine Göttervorstellung geht, nicht um die Darstellung einer lebenden, realen Person. Von Napoleon ist bekannt, daß er gegen eine Öffentliche Aufstellung seines Standbilds war. Seine Schwester Pauline war seit 1803 mit dem Fürsten Camillo Borghese verheiratet, in dessen Familienpalast in Rom die Plastik auch heute noch steht.  Ich vermute auch hier ursprünglich eine eher private Verwendung, die die öffentliche und museale Präsentation ausschloß. Aber bei Freunden konnte man mit so einer Darstellung seiner Angetrauten vielleicht irgendwelche Vorstellungen in Gang setzen? Wann der Palazzo Borghese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, ist mir nicht bekannt, ich vermute jedoch frühestens 1902, als nämlich Park und Villa in staatlichen Besitz überführt wurden.