Der Goldjunge
In Florenz wird die David-Statue
von Michelangelo restauriert
Kann man sich Michelangelos David mit einem vergoldeten Schleuderriemen
und mit einem goldbelegten Baumstumpf vorstellen? Gar mit einer teilweise
vergoldeten Bronzekrone auf dem Kopf der Marmorstatue? Man kann nicht nur,
man muss ihn sich so vorstellen weil er wohl so ausgesehen hat. Nicht erst
seit heute weiß die Wissenschaft, dass die Renaissance - wie auch
die römische An-tike - sehr viel bunter waren, als die Historiker
wahrhaben wollen. Die gegenwärtige Restaurierung der David-Statue
in der florentinischen Galleria dell‘ Accademia lässt abgelegtes Wissen
über das Original Michelangelos zurück in das Bewusstsein der
Öffentlichkeit dringen.
Bekanntlich hatte bereits 1464 der Donatello-Schüler Agostino
di Duccio aus dem fünf Meter hohen Marmorblock eine monumentale Statue
für den Domchor meißeln sollen. Agostino ließ den Stein
wegen Materialfehlern ebenso liegen wie ein weiterer Künstler kurz
nach ihm. Der junge Michelangelo hatte es also mit einem bereits „verhauenen“
Block zu tun, als er sich 1501 an die Arbeit machte. Vermutlich erklärt
sich die merkwürdige Abwinkelung des Spielbeines daraus, dass der
Durchbruch zwischen den Beinen bereits von Agostino stammte.
Aus zeitgenössischen Dokumenten weiß man von den Vergoldungen,
die später wieder abgenommen wurden, und von der Bronzekrone mit 24
vergoldeten Lorbeerblättern, die aber bald verloren gegangen sein
muss. Geblieben ist eine Delle im Haarschmuck des Hinterkopfes, die Michelangelo
offensichtlich für diese Krone ausgearbeitet hatte.
Die Geschichte der „David“-Skulptur ist von Verletzungen, Verschmutzungen
und brutalen Säuberungen gekennzeichnet. Michelangelos Statue, die
erste überlebensgroße Aktfigur der Neuzeit, wurde nach der Fertigstellung
vor dem Eingang des Palazzo Vecchio, dem politischen Zentrum von Florenz
aufgestellt. Bei Tumulten anlässlich der Vertreibung der Medici brach
1543 der linke Arm, der dann wieder angesetzt werden musste. Wegen starker
Verschmutzungen im porösen Marmor versuchte man die Figur im 19. Jahrhundert
mit einem aggressiven Chlorsäurekonzentrat zu reinigen, was zur Folge
hatte, dass die Oberfläche noch anfälliger wurde und sich - etwa
am linken Fuß - teilweise zersetzte.
Immer am Montag
Im November 1873 brachte man den David von der Piazza della Signoria
ins Innere der Galleria dell‘ Accademia, wo er seitdem steht. Und 1910
- nach 27 Davidlosen Jahren - wurde die bekannte Marmorkopie vor den Palazzo
Vecchio gestellt. Vor ein paar Wochen hat man die Kopie zur Sicherheit
eingerüstet. Nicht etwa aus Angst vor Anschlägen - wie böse
Zungen meinten, als das erste europäische Social Forum dort stattfinden
sollte -, sondern weil zur Zeit die Fassade des Palazzo hinter der Skulptur
restauriert wird.
Das Original in der Accademia hat zwar nicht mehr unter dem Regen und
anderen Freilufteinflüssen zu leiden, bleibt aber dennoch auch im
Binnenklima verschiedensten schädlichen Einflüssen ausgesetzt.
Das regelmäßige Abstauben jeden Montag konnte nicht verhindern,
dass feinste Staub- und Schmutzpartikel über Jahrzehnte in den Marmor
eindrangen. Die Oberfläche hat sich an vielen Stellen deutlich verfärbt.
Michelangelos Meisterwerk wird jetzt zum ersten Mal nach dem Umzug ins
Museum mit einer beeindruckenden Reihe chemischer, physikalischer und statischer
Analysen gleichsam auf Herz und Nieren geprüft.
Der bei einem vandalistischen Anschlag Anfang der neunziger Jahre abgebrochene
Zeh gibt die Möglichkeit, den Zustand im Inneren des Marmors zu überprüfen.
Eine digitale Messung liefert erstmals genaueste Angaben über Größe
(486 Zentimeter), Gewicht (5,6 Tonnen) -und Oberfläche (19,47 Quadratmeter)
der Figur. Die Oberfläche ist in 65 Felder aufgeteilt worden. Für
jedes einzelne Feld entwerfen die Restauratoren gerade ein Bearbeitungsprogramm
mit entsprechenden Reinigungs- und Poliermitteln.
Im Januar will man mit der eigentlichen Reinigung beginnen. Gearbeitet
wird abends und nachts, um den Besuchern der Accademia weiterhin die Besichtigung
des vielleicht berühmtesten Bildhauerwerks Europas zu ermöglichen.
Eine Langzeituntersuchung des Ambientes (vor allem des Anteils und der
Zusammensetzung der Schwebeteilchen) wird über die Restaurierung hinaus
gehen. Erst dann wird man abschließend entscheiden können, ob
zusätzliche
Einrichtungen wie Luftfilter oder Besucherschleusen notwendig werden.
Ohne private Hilfe sind die Kosten eines solchen Projektes (rund 500
000 Eu-ro) von einem Museum heute nicht mehr zu leisten. Franca Falletti,
die Leiterin der Accademia, hatte in diesem prominenten Fall keine Schwierigkeiten,
Sponsoren zu finden; sie legt jedoch Wert darauf, dass die beteiligten
Unternehmen nicht mit dem Image von Michelangelo zu werben und Profit zu
machen versuchen; es sind ausschließlich gemeinnützige Organisationen
wie die internationale Stiftung „Friends of Florence“ oder der Kulturfonds
Ars Longa der Rotterdamer Mäzenatenfamilie Dreesmann, der bereits
mehrere Michelangelo-Restaurierungen unterstützt hat.
Allerdings: Im gleichsam originären Zustand mit vergoldetem Schulterriemen
und mit der Krone auf dem Haupt wird David nach Abschluss der Restau-rierungen
vermutlich nur digital im Internet zu bewundern sein. In der Accademia
und auch auf der Piazza della Signoria bleibt das Werk so erhalten, wie
wir es kennen.
HENNING KLÜVER