Süddeutsche Zeitung
Nr. 290 / S. 15 vom 16.12.02

Der Goldjunge
In Florenz wird die David-Statue
von Michelangelo restauriert

Kann man sich Michelangelos David mit einem vergoldeten Schleuderriemen und mit einem goldbelegten Baumstumpf vorstellen? Gar mit einer teilweise vergoldeten Bronzekrone auf dem Kopf der Marmorstatue? Man kann nicht nur, man muss ihn sich so vorstellen weil er wohl so ausgesehen hat. Nicht erst seit heute weiß die Wissenschaft, dass die Renaissance - wie auch die römische An-tike - sehr viel bunter waren, als die Historiker wahrhaben wollen. Die gegenwärtige Restaurierung der David-Statue in der florentinischen Galleria dell‘ Accademia lässt abgelegtes Wissen über das Original Michelangelos zurück in das Bewusstsein der Öffentlichkeit dringen.
Bekanntlich hatte bereits 1464 der Donatello-Schüler Agostino di Duccio aus dem fünf Meter hohen Marmorblock eine monumentale Statue für den Domchor meißeln sollen. Agostino ließ den Stein wegen Materialfehlern ebenso liegen wie ein weiterer Künstler kurz nach ihm. Der junge Michelangelo hatte es also mit einem bereits „verhauenen“ Block zu tun, als er sich 1501 an die Arbeit machte. Vermutlich erklärt sich die merkwürdige Abwinkelung des Spielbeines daraus, dass der Durchbruch zwischen den Beinen bereits von Agostino stammte.
Aus zeitgenössischen Dokumenten weiß man von den Vergoldungen, die später wieder abgenommen wurden, und von der Bronzekrone mit 24 vergoldeten Lorbeerblättern, die aber bald verloren gegangen sein muss. Geblieben ist eine Delle im Haarschmuck des Hinterkopfes, die Michelangelo offensichtlich für diese Krone ausgearbeitet hatte.
Die Geschichte der „David“-Skulptur ist von Verletzungen, Verschmutzungen und brutalen Säuberungen gekennzeichnet. Michelangelos Statue, die erste überlebensgroße Aktfigur der Neuzeit, wurde nach der Fertigstellung vor dem Eingang des Palazzo Vecchio, dem politischen Zentrum von Florenz aufgestellt. Bei Tumulten anlässlich der Vertreibung der Medici brach 1543 der linke Arm, der dann wieder angesetzt werden musste. Wegen starker Verschmutzungen im porösen Marmor versuchte man die Figur im 19. Jahrhundert mit einem aggressiven Chlorsäurekonzentrat zu reinigen, was zur Folge hatte, dass die Oberfläche noch anfälliger wurde und sich - etwa am linken Fuß - teilweise zersetzte.

Immer am Montag
Im November 1873 brachte man den David von der Piazza della Signoria ins Innere der Galleria dell‘ Accademia, wo er seitdem steht. Und 1910 - nach 27 Davidlosen Jahren - wurde die bekannte Marmorkopie vor den Palazzo Vecchio gestellt. Vor ein paar Wochen hat man die Kopie zur Sicherheit eingerüstet. Nicht etwa aus Angst vor Anschlägen - wie böse Zungen meinten, als das erste europäische Social Forum dort stattfinden sollte -, sondern weil zur Zeit die Fassade des Palazzo hinter der Skulptur restauriert wird.
Das Original in der Accademia hat zwar nicht mehr unter dem Regen und anderen Freilufteinflüssen zu leiden, bleibt aber dennoch auch im Binnenklima verschiedensten schädlichen Einflüssen ausgesetzt. Das regelmäßige Abstauben jeden Montag konnte nicht verhindern, dass feinste Staub- und Schmutzpartikel über Jahrzehnte in den Marmor eindrangen. Die Oberfläche hat sich an vielen Stellen deutlich verfärbt. Michelangelos Meisterwerk wird jetzt zum ersten Mal nach dem Umzug ins Museum mit einer beeindruckenden Reihe chemischer, physikalischer und statischer Analysen gleichsam auf Herz und Nieren geprüft.
Der bei einem vandalistischen Anschlag Anfang der neunziger Jahre abgebrochene Zeh gibt die Möglichkeit, den Zustand im Inneren des Marmors zu überprüfen. Eine digitale Messung liefert erstmals genaueste Angaben über Größe (486 Zentimeter), Gewicht (5,6 Tonnen) -und Oberfläche (19,47 Quadratmeter) der Figur. Die Oberfläche ist in 65 Felder aufgeteilt worden. Für jedes einzelne Feld entwerfen die Restauratoren gerade ein Bearbeitungsprogramm mit entsprechenden Reinigungs- und Poliermitteln.
Im Januar will man mit der eigentlichen Reinigung beginnen. Gearbeitet wird abends und nachts, um den Besuchern der Accademia weiterhin die Besichtigung des vielleicht berühmtesten Bildhauerwerks Europas zu ermöglichen. Eine Langzeituntersuchung des Ambientes (vor allem des Anteils und der Zusammensetzung der Schwebeteilchen) wird über die Restaurierung hinaus gehen. Erst dann wird man abschließend entscheiden können, ob zusätzliche
Einrichtungen wie Luftfilter oder Besucherschleusen notwendig werden.
Ohne private Hilfe sind die Kosten eines solchen Projektes (rund 500 000 Eu-ro) von einem Museum heute nicht mehr zu leisten. Franca Falletti, die Leiterin der Accademia, hatte in diesem prominenten Fall keine Schwierigkeiten, Sponsoren zu finden; sie legt jedoch Wert darauf, dass die beteiligten Unternehmen nicht mit dem Image von Michelangelo zu werben und Profit zu machen versuchen; es sind ausschließlich gemeinnützige Organisationen wie die internationale Stiftung „Friends of Florence“ oder der Kulturfonds Ars Longa der Rotterdamer Mäzenatenfamilie Dreesmann, der bereits mehrere Michelangelo-Restaurierungen unterstützt hat.
Allerdings: Im gleichsam originären Zustand mit vergoldetem Schulterriemen und mit der Krone auf dem Haupt wird David nach Abschluss der Restau-rierungen vermutlich nur digital im Internet zu bewundern sein. In der Accademia und auch auf der Piazza della Signoria bleibt das Werk so erhalten, wie wir es kennen.

HENNING KLÜVER